Die prämodernen Entwicklungskonzepte haben ausgedient, man
weiß, dass sich die alten Psychos ausnahmslos geirrt haben - Von
Paulus Hochgatterer
Redaktion
,
Man kann wirklich froh sein, dass all das fragwürdige Zeug demnächst ein Ende
haben wird, - Kreisspiele ohne Niveau, Barbie heiratet Ken oder man läuft im
Rudel über die Wiese. Und überhaupt dieses Singen! Mit Schwester Ulrike, die
meine allererste Kindergärtnerin und eine Seele von einem Menschen war, haben
wir die ganze Zeit gesungen, aus bloßem Spaß, ihrem und unserem, und
unbegreiflicherweise war es ihr völlig egal, ob wir uns den Text merkten oder
nicht. Aber sie war ja auch eine Nonne, sozial bestens abgesichert und rein
statistisch in Erwartung eines ziemlich langen Lebens.
Gott sei Dank ändert sich das jetzt alles. Bauecke täglich zweimal wird Standard,
Puppenspielen ist nur noch in Verknüpfung mit dem Einüben von
Pflegehandlungen zulässig und "Mein rechter Platz ist leer" muss wiederholt
werden, bis jedem klar ist, dass im richtigen Leben vor allem Networking
angesagt ist.
Die prämodernen Entwicklungskonzepte haben ausgedient, man weiß, dass sich
die alten Psychos ausnahmslos geirrt haben - Spitz, Winnicott, und Freud erst
recht -, und dass es in Wahrheit im Leben eines Kindes weder um Zuwendung
geht noch um Spiel und Kreativität, und schon gar nicht um etwas so schlecht
Operationalisierbares wie Lust. Selbst Jean Piaget, der in beispielhafter Klarsicht
bereits vor Jahrzehnten dem Leistungsaspekt mehr Aufmerksamkeit schenkte als
andere, war nicht radikal genug, das Potenzial unserer Kleinkinder endgültig zu
erkennen. Sie werden Computer bedienen können, das steht heute fest; sie
werden ihr Fernsehprogramm wählen und die richtige Partei sowieso. Über
Infantilismen wie Trost, Körperkontakt oder eine Gutenachtgeschichte werden sie
bald hinweg sein. In Zweierreihen krabbeln sie ohnehin schon, hört man. (Paulus
Hochgatterer/DER STANDARD-Printausgabe, 6./7. Oktober 2007)
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