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Plötzlich wieder ganz vorn dabei: Frankreichs Staatschef Sarkozy und sein Außenminister Kouchner drängen die EU zu härteren Sanktionen gegen den Iran.

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Außenpolitik ist in Frankreich Chefsache. Seit den Zeiten de Gaulles bestimmt der Staatspräsident weitgehend allein den diplomatischen Kurs der Grande Nation. Nur so ist zu erklären, dass die Pariser Medien kaum reagierten, als Nicolas Sarkozy diesen Sommer die französische Außenpolitik völlig neu ausrichtete: Nach der "Résistance" Frankreichs gegen den Irakkrieg wird Sarkozy nun nicht müde, US-Präsident Georg W. Bush als "Freund" zu bezeichnen - und zu besuchen. Im November wird er nach einem sommerlichen Ferientreffen nach Washington reisen.

Das Verhältnis zur deutschen Kanzlerin Angela Merkel hat sich hingegen so stark abgekühlt, dass Sarkozy ihre letzte Zusammenkunft selbst als "offene Aussprache" umschrieb - hinter diesem diplomatischen Jargon verbirgt sich nichts Gutes.

Das Ausmaß des Kurswechsels dringt nur langsam ins Bewusstsein der französischen Öffentlichkeit. Den Anfang machten in Paris wie üblich Internetblogs. "Fasziniert durch die Neokonservativen in der US-Regierung, kehrt Sarkozy der 50 Jahre alten deutsch-französischen Versöhnung den Rücken", rügte unlängst ein Debattierer.

Nachdem Außenminister Bernard Kouchner dem Iran mit "Krieg" drohte, verlangt nun Oppositionschef François Hollande in unüblich scharfen Worten eine Parlamentsdebatte. Sarkozy quittierte diese Forderung bisher mit Schweigen. Dies löste aber nur noch geharnischtere Reaktionen aus. "Frankreich gewinnt nichts dabei, die aggressivsten Standpunkte der amerikanischen Außenpolitik folgsam zu übernehmen", poltert der ehemalige Verteidigungsminister und Linksrepublikaner Jean-Pierre Chevènement, der schon gegen den ersten Golfkrieg von 1991 eingetreten war.

Spaltung der EU

Die Iran-Frage, so wie sie Kouchner mit seiner Forderung nach besonderen Wirtschaftssanktionen der EU-Staaten gegen Teheran zugespitzt hat, droht nun die Union ein zweites Mal zu spalten: Wie beim Irakkrieg stehen Hardliner gegen Befürworter von Verhandlungen.

In Sarkozys Partei UMP üben Altgaullisten hinter vorgehaltener Hand ebenfalls Kritik; der frühere Premierminister Dominique Villepin, der 2003 mit einer flammenden UNO-Rede gegen die zweite Irak-Invasion der USA zu Felde gezogen war, stellt sich dem Staatschef - einem alten Rivalen - offen entgegen und wirft ihm vor, noch vor den USA "in Richtung Krieg" mit dem Iran zu marschieren.

Die um sich greifende Kritik beschränkt sich nicht auf die Kehrtwende eines traditionell amerikakritischen Landes, das laut Signalen aus dem Elysée auch wieder ins Militärkommando der Nato zurückkehren könnte. In der Dienstagausgabe von Le Monde setzt die unterlegene sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal zu einem Rundschlag gegen Sarkozys Außenpolitik an, die ihr zufolge "Schnitzer über Schnitzer" aneinanderreiht und sich in ihre Widersprüche verstrickt.

Während des französischen Präsidialwahlkampfes habe Sarkozy einen EU-Beitritt der Türkei klar abgelehnt, jetzt habe er aber sein Mäntelchen gewendet und akzeptiere die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen, moniert Royal. Zudem wolle der Staatschef jenen Artikel aus der französischen Verfassung kippen, mit dem sein Vorgänger Jacques Chirac dem Volk das Recht eingeräumt habe, über zukünftige EU-Neuaufnahmen an der Urne abzustimmen.

Unverständlich sei auch, dass Sarkozy die libanesische Hisbollah als "Terrorvereinigung" bezeichnet und kurz darauf zu einer Konferenz nach Paris eingeladen habe. Vor der UNO-Vollversammlung habe er allen Ländern - bekanntlich auch Libyen - die zivile französische Atomtechnologie offeriert; gleichzeitig drohe er aber gar mit der "Bombardierung des Irans", wenn dieser Uran anreichern wolle. Diese unkohärente Politik ist laut Royal eine Folge des "simplen" diplomatischen Kurses. Frankreich mache damit seine ganze, wohl überlegte und fein tarierte Politik in komplexen Konfliktherden wie Jugoslawien, Irak, Libanon, Darfur oder Naher Osten zunichte.

Einmischung in Berlin Der proeuropäische Zentrumspolitiker François Bayrou bedauert seinerseits, dass sich Sarkozy in die innerdeutsche Energiedebatte einmische, wenn er die Deutschen zur Rückkehr zur Atomkraft überreden wolle. Dass der gaullistische Staatspräsident gleichzeitig alles daransetzt, den Aktionär Siemens aus einem gemeinsamen Projekt mit dem französischen Atomkonzern Areva zu drängen, fällt in Paris nicht einmal besonders auf.

Umso mehr wurde an der Seine hingegen registriert, dass Sarkozys Tournee durch Afrika im Juni dort weiterhin hohe Wellen der Entrüstung schlägt. Afrikanische Intellektuelle beklagen sich bitter, dass der Präsident der einstigen Kolonialmacht nur gekommen sei, um alte paternalistische Reflexe zu bestätigen. "Der Afrikaner" sei eher der Natur als der Fortschrittsidee verbunden, hatte Sarkozy verblüfften Studenten in Dakar (Senegal) zum Beispiel vorgehalten.

Danach traf er den gabunesischen Alleinherrscher Omar Bongo, der Frankreich seit Jahrzehnten zu lukrativen Erdölgeschäften verhilft. Das sei auch nicht gerade sehr progressiv, kommentierte darauf der kamerunesische Intellektuelle Achille Mbembe.

Bernard Kouchner versucht sich indes nicht nur als Speerspitze (Beispiel Iran), sondern auch als Brückenbauer für die außenpolitischen Vorgaben seines Präsidenten. Auf Besuch in Ankara war Kouchner am Freitag bemüht, Sarkozys ablehnende Haltung gegenüber einem EU-Beitritt der Türkei kleinzureden. Vom "gemeinsamen Willen einen neuen und starken Schwung in unsere Beziehung zu bringen und diese Bindungen zu normalisieren", sprach der Außenminister vage, der selbst einen Anschluss der Türkei an die EU befürwortet. (Stefan Brändle aus Paris/DER STANDARD, Printausgabe, 6./7.10.2007)