"Wunderbare" Werbejahre Conrads (Bild), während Toscani von einem "Nürnberger Prozess" gegen die Branche sinniert.

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Oliviero Toscani sorgte mit seiner Kampagne gegen Magersucht für Aufsehen.

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Wien - Zwei Weltgrößen der Werbung haben gerade in Österreich einander eine damit wohl auch recht heftige kreative Auseinandersetzung verpasst.

Oliviero Toscani kam zu einer Ausstellung der Ars Electronica nach Wien. Der italienische Fotograf und frühere Benetton-Schockwerber erregte - wie berichtet - zu den Mailänder Modeschauen mit einer Kampagne gegen Magersucht Aufsehen, die eine langjährig Betroffene nackt zeigt.

Michael Conrad zog sich 2003 nach 34 Jahren in der Werbung und neun davon als weltweiter Kreativchef von Leo Burnett zurück. Als Präsident der neuen "Berlin School of Creative Leadership" vermittelt er Führungskräften aus Werbung und Medien mit Werbelegenden aus aller Welt, wie sie ihren Job für ihre Agentur, Kunden, Produkte, die Branche, für sich und für ihre Familie besser erfüllen können. Die International Advertising Association (IAA) lud den gebürtigen Deutschen nach Wien.

"Nürnberger Prozess"

Conrad spricht von 34 "wundervollen" Jahren in der Werbung. Toscani erwartet - und wünscht ihr - eine Art "Nürnberger Prozess" gegen die Mode-, Werbe- und Medienwelt. "Alle sagen, dass mein ,Anorexie'-Bild schockierend sei", sagte Toscani der APA, "schockiert darüber, was diese Gesellschaft alles von uns verlangt, nur damit wir ihr Genüge tun. Wir leben in einer anorektischen Welt." Toscani würde Fernsehen am liebsten abschaffen, er wandelt für sich Taliban zu "Teleban" ab.

In dieser von falschen (Selbst-)Bildern bestimmten Welt müsse man "gut aussehend, erfolgreich, reich" sein. "Wir haben alle Angst, das nicht zu erfüllen, nicht zu schaffen", sagt Toscani. Wegen dieses Drucks und seiner oft fatalen Auswirkungen müssten sich die Verantwortlichen einmal vor Gericht rechtfertigen. Toscani: "Ich werde sowohl anklagen, als auch Angeklagter sein.

"Erschreckend", "destruktiv"

In Conrads Zehnstufenplan zu herausragender (kommerzieller) Werbung scheiterte Toscani schon an Punkt eins: "Erschreckend" ist für ihn das erste Ausschlusskriterium, "destruktiv" das zweite. Dann kommen "nicht kompetitiv" und "Klischee". Positiv wird es ab Stufe fünf: innovative Strategie, frische Idee, exzellente Ausführung. Königsklasse ab acht: neuen Standard setzen in dieser (Produkt-)Kategorie, in der Werbebranche, und "beste Inspiration der Welt".

Dafür müssen die Kunden mitspielen, sagt Conrad dem STANDARD: "Großartige Werbung ist verrückt, weil sie von der Norm abrückt." Vielen Agenturen falle es schwer, Verständnis und Vertrauen herzustellen, "dass der Kunde sagt: Da mache ich mit. Damit habe ich etwas, das mir keiner wegnehmen kann." Eine Alleinstellung in der Kommunikation nämlich. Verlassen sie sich auf Tests, ist die Idee meist gestorben: "Die Befragten können den Istzustand, aber keinen verrückten, visionären Zustand beurteilen." (fid, APA/DER STANDARD; Printausgabe, 8.10. 2007)