Schluss mit gemütlich. Ausgerechnet die verschlafen-beschauliche Hauptstadt Bern war am Wochenende Schauplatz von Krawallen, wie die Schweiz sie seit den Züricher Jugendunruhen der frühen 1980er-Jahre nicht mehr erlebt hat. Was am Ereignis an sich überraschte, war die ausgeklügelte Taktik, mit der gewaltbereite Extremisten die Polizei austricksten.

Aber das wirkliche Problem liegt tiefer. Die Berner Zusammenstöße sind vorläufiger Höhepunkt einer politischen Polarisierung, die der Schweizer Konkordanzdemokratie bis vor wenigen Jahren fremd war. Katalysator dieser Polarisierung ist Christoph Blocher, der seine Schweizerische Volkspartei zur stärksten Kraft im Land gemacht hat. Blocher spricht mit dem sicheren Instinkt des Populisten Ängste der Bürger an: Angst vor den Folgen der Globalisierung, Angst vor Überfremdung im gemütlichen Zuhause, Angst vor importierter Kriminalität - kurz: Angst davor, dass alles nicht mehr so sein wird, wie es einmal war.

Schweizer Kommentatoren zeigen sich befremdet ob des Auseinanderklaffens von Wahlkampf und Realität: Die Wirtschaft laufe doch prächtig, die Arbeitslosigkeit sei niedriger denn je - woher also diese Unruhe? Genau das ist der Punkt: Eben weil es ihnen so gut geht und sie zugleich sehen, wie es in der Welt draußen zugeht, fühlen sich viele Schweizer von einem Politiker wie Blocher angesprochen: Er artikuliert ihr dumpfes Unbehagen und bietet simple Lösungen an - die es nicht gibt.

Gerade deshalb ist es ein schwerer Fehler, sich in den Überbringer der Botschaft zu verbeißen, statt sich mit deren Ursachen zu befassen. Ein führender Schweizer Sozialdemokrat meinte am Sonntag in einem Interview selbstkritisch: "Die SP ist in die Blocher-Falle getappt." Eine Erkenntnis, die hoffentlich nicht zu spät kommt. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, Printausgabe, 8.10.2007)