Foto: Senator Film
Wer in den USA krank wird, sollte besser ausreichend versichert sein. Rick war es nicht, als er sich zwei Fingerglieder absägte. Das Spital gab ihm die Wahl, den Mittelfinger für 60.000 Dollar wieder anzunähen oder den Ringfinger für 12.000 Dollar.

Gesundheit ist Geldsache

Frank kann sich die Schmerzmedikamente für seine Frau nicht leisten. Trotz seiner 79 Jahre putzt er in einem Supermarkt, weil dessen Mitarbeiterversicherung die Arzneikosten übernimmt.

Haus und Ersparnisse weg

Larry und Donna, beide um die sechzig, waren krankenversichert, doch ihre Zuzahlungen zu seiner Herz- und ihrer Krebsbehandlung schaukelten sich hoch, bis ihr Haus und alle Ersparnisse weg waren. Am Ende blieb ihnen nur, bei ihrer Tochter in die Abstellkammer einzuziehen.

Adrians Versicherung hat die Kostenübernahme der Behandlung ihres Gebärmutterhalskrebses gleich ganz abgelehnt. Mit 22 sei sie dafür zu jung! Sie hat sich einen Freund in Kanada angelacht, und nun fährt sie für jede Behandlung über die Grenze.

Böse Versicherungen

Michael Moore zerrt in seinem neuen Dokumentarfilm Sicko nicht nur die Opfer des maladen US-Gesundheitswesens vor die Kamera, sondern auch reuige Mitarbeiter der Versicherungsindustrie. Wie Becky, die im Callcenter Versicherungswillige abwimmelt, wenn sie zu viele Krankheitsrisiken mitbringen.

Oder Lee, der Patientenakten auf Begründungen durchforstet, eine Kostenübernahme abzulehnen. Oder die Ärztin Linda, die eine 500.000 Dollar-Operation verweigerte, was zwar ein Menschenleben gekostet, aber ihre Karriere befördert hat.

"Es ist schlimmer geworden"

Der "sehr pointierte" Film gefällt Christian Köck. Die USA kennt der Wiener Gesundheitsmanager und -berater von mehreren Studienaufenthalten. "Es ist in den letzten Jahren sicher schlimmer geworden, aber getrickst haben die Versicherungen auch früher schon: Wer Spitalsrechnungen refundiert haben wollte, musste in einem schäbigen Bürogebäude ohne Aufzug bis in den dritten Stock vordringen", erinnert er sich.

Effizient gesund bleiben

Insgesamt vier Jahre hat Köck in den USA verbracht. Dabei fühlte er sich in der Obhut des Harvard Community Health Service sogar bestens versorgt: Sein Sohn wurde dort geboren, und wenn der Kleine kränkelte, konnte Köck jederzeit anrufen. "Den Ärzten ging es nicht darum, viele Leistungen abzurechnen, sondern auf effiziente Weise dafür zu sorgen, dass wir gesund bleiben."

Bürokratie und Werbung

In der Gesundheitsrangliste der WHO scheinen die USA allerdings erst auf Platz 37 auf. Dabei gibt es kein Land, das auch nur annähernd einen so großen Teil seiner Wirtschaftsleistung für das Gesundheitswesen aufwendet wie die USA mit 15,3 Prozent. Gut zwei Prozentpunkte fressen allein die Bürokratie und der Werbeaufwand der Versicherungen auf, erklärt Köck. Dazu kommen Überkapazitäten in der Spitzenmedizin, die höchsten Ärztegehälter und die höchsten Arzneimittelpreise.

Steuerfinanziertes Gesundheitswesen

In der zweiten Hälfte von Sicko tritt Moore selbst vor die Kamera. Er mimt den naiven Amerikaner im Ausland, der nicht glauben kann, dass Kanadier oder Engländer für ihre Behandlung nichts bezahlen müssen. Das steuerfinanzierte Gesundheitswesen dieser Länder hält Köck für die beste Lösung: "Es ist transparenter, erlaubt einen einheitlichen Leistungskatalog und fördert Prävention, was unterm Strich billiger kommt."

Spitzenmedizin oder garnichts

Denn das US-Gesundheitssystem hat zwei Gesichter: einerseits Spitzenmedizin, andererseits ein Versicherungssystem, das - im Gegensatz zu hier - viele ausschließt. Fast fünfzig Millionen Amerikaner, davon neun Millionen Kinder, sind nicht krankenversichert. Weitere zwanzig Millionen gelten als unterversichert.

Letzter Versuch von Hillary Clinton

Das Scheitern des letzten großen Versuchs, die Krankenversicherung zu reformieren, hat Köck 1993 in den USA miterlebt. Zwei seiner akademischen Lehrer, Don Berwick und Joseph Newhouse, waren unter den Beratern, die Hillary Clinton damals in Aspen versammelte. Womit die Präsidentengattin dann zwar ein Programm hatte, aber noch kein politisches Konzept zu seiner Durchsetzung.

Politisches Problem

Die Ärztelobby AMA inserierte ganzseitig in der New York Times: Lassen Sie nicht zu, dass sie Ihnen Ihren Arzt wegnehmen! Die Versicherungen gaben 120 Millionen Dollar aus, um die Reform zu torpedieren. Die Beschwörung "sozialistischer Medizin" schien geradewegs aus der Mottenkiste der Fünfzigerjahre zu kommen.

Moore scheint wenig optimistisch, dass Hillary Clinton, sollte sie zur Präsidentin gewählt werden, einen neuen Anlauf unternimmt. Zu den Financiers ihres Wahlkampfs zählen nämlich auch die Versicherungen.

Größtes Reformhindernis

Dass Jahr für Jahr zwei Milliarden Dollar in das US-Gesundheitssystem fließen und damit auch die politischen Kassen der Profiteure prall gefüllt sind, ist für Köck das größte Reformhindernis. In diesem Punkt sieht er eine Parallele zum österreichischen Gesundheitssystem, das er mittlerweile als "unreformierbar" ansieht: "Wir haben die gleichen Probleme wie vor zwanzig Jahren, sie werden nur größer". (Stefan Löffler, MEDSTANDARD, 08.10.2007)