Tallinn - Estnische Spitzenpolitiker werfen dem Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE), René van der Linden, vor, persönliche Interessen in Russland zu haben und deswegen die Regierung in Tallinn wegen ihrer Politik gegenüber der russischsprachigen Minderheit zu kritisieren. Vize-Parlamentspräsidentin und Ex-Außenministerin Kristiina Ojuland bezeichnete Van der Lindens Aussagen am Montag als "im Widerspruch zu den offiziellen Dokumenten des Europarats".

Davor hatten sowohl Staatspräsident Toomas Hendrik Ilves als auch der Vorsitzende des Europa-Komitees des estnischen Parlaments, Marko Mihkelson, Van der Linden verbal angegriffen. Mihkelson deutete an, Van der Linden agiere aufgrund persönlicher wirtschaftlicher Interessen in Russland.

Der niederländische Liberale hatte im September das Baltikum besucht und unter anderem eine Verbesserung der Stellung der russischen Sprachminderheiten in Estland und Lettland gefordert. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kam kurz danach auch der Kommissar für Menschenrechte des Europarats, der Schwede Thomas Hammarberg. Dieser forderte die Regierung in Tallinn auf, die restriktive Einbürgerungspolitik in Bezug auf in Estland geborene Russischsprachige zu überdenken und Angehörigen der Volksgruppe den bedingungslosen Erhalt der Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. Derzeit müssen alle Personen, die nicht Estnisch als Muttersprache haben, trotz Geburt in Estland eine Prüfung ablegen. In Lettland gilt Ähnliches.

Vor knapp zwei Wochen war der UNO-Sonderberichterstatter für Diskriminierung und Rassismus, Doudou Diene, noch weiter gegangen. Diene forderte sogar eine Gleichstellung des Russischen neben dem Estnischen als zweite offizielle Staatssprache. Dafür erhielt der UNO-Vertreter eine lautstarke Schelte von Präsident Ilves, der meinte, Estland brauche sich um derartige "propagandistische Aussagen" nicht zu kümmern.

Ende April hatte die Regierung in Tallinn durch die erzwungene Verlegung eines sowjetischen Kriegerdenkmals entgegen der Warnung von Experten Unruhen in der Hauptstadt und einigen Orten im Osten des Landes vom Zaun gebrochen, bei denen ein 19-Jähriger ums Leben kam und rund 150 Menschen verletzt wurden. Hunderte großteils junge Menschen wurden wegen Plünderungen und Sachbeschädigung festgenommen. Moskau schaltete sich von Beginn an in den Konflikt ein; seither herrscht in den bilateralen Beziehungen zwischen Estland und Russland Eiszeit. (APA)