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Protest in Istanbul gegen die Resolution des Auswärtigen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses.

Foto: AP /Murad Sezer
Die Resolution des US-Kongresses, die den Völkermord an den Armeniern verurteilt, sorgt für weitere Spannungen zwischen der Türkei und den USA. Präsident Abdullah Gül hält es für inakzeptabel, dass das Thema für einen innenpolitischen Kleinkrieg missbraucht wird.

Die US-Regierung hat inzwischen ihre Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass der nach Ankara zurückgerufene türkische Botschafter bald wieder nach Washington zurückkehren wird. Man wolle daran arbeiten, die türkisch-amerikanischen Beziehungen weiter zu festigen.

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Mit Empörung und Unverständnis haben die türkische Regierung und Staatspräsident Abdullah Gül auf die Verabschiedung einer Armenier-Resolution im außenpolitischen Ausschuss des US-Kongresses reagiert. Dort wurde in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag eine Resolution angenommen, in der die Massaker an den Armeniern in der Endphase des osmanischen Reiches als Völkermord verurteilt werden.

Die Türkei beorderte daraufhin am Donnerstag ihren Botschafter in Washington zu Beratungen über eine im US-Repräsentantenhaus verabschiedete Resolution nach Ankara zurück. Der Diplomat Nabi Sensoy solle die USA verlassen, berichteten türkische Medien. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Tom Casey, sagte dass die USA ihrerseits nicht vorhätten, ihren Botschafter aus der Türkei zurückzurufen. "Wir wollen gewiss weiterhin ein gutes positives Verhältnis mit der türkischen Regierung haben", sagte Casey.

Das dürfte schwierig werden - umso mehr als die demokratische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sich am Donnerstag entschlossen zeigte, die Resolution weiter voranzubringen. Nach dem Ausschuss müsse auch das Repräsentantenhaus abstimmen, sagte Pelosi. Im US-Kongress gibt es seit Jahren Bestrebungen, die Massaker an den Armeniern als Völkermord anzuerkennen. Ein Entwurf wurde 2000 fallen gelassen, nachdem der damalige Präsident Bill Clinton seinen Widerstand erklärt hatte.

"Wir sind empört"

„Wir sind empört, für etwas verurteilt zu werden, was so nie passiert ist“, heißt es in einer Stellungnahme der türkischen Regierung. Gül war noch in der Nacht zum Donnerstag ganz deutlich geworden und nannte es inakzeptabel, dass ein so wichtiges Thema für einen innenpolitischen Kleinkrieg in den USA missbraucht wird. Obwohl die Resolution, auch wenn sie im November im Plenum des Kongresses bestätigt wird, rein akklamatorischen Charakter hat und Präsident Bush politisch nicht bindet, wird die jetzige Entscheidung in der offiziellen Türkei bereits als eine entscheidende Niederlage in der seit Jahren tobenden Auseinandersetzung mit der weltweiten armenischen Diaspora gesehen. Nach ähnlichen Entscheidungen des europäischen Parlaments, der französischen Nationalversammlung und des russischen und schweizerischen Parlaments, befürchtet man in Ankara, nun endgültig weltweit isoliert zu werden.

Aufmärsche

Von einer kleinen Minderheit abgesehen, ist die türkische Öffentlichkeit zutiefst davon überzeugt, dass der Vorwurf des Völkermordes zu unrecht erhoben wird. Verschärfend kommt hinzu, dass die Kongressentscheidung ausgerechnet zu einem Zeitpunkt gefallen ist, an dem die Beziehungen zu den USA sich wegen der unterschiedlichen Interessen im Nordirak einem historischen Tiefststand annähern.

Die Beerdigungen von 13 Wehrpflichtigen, die von der PKK getötet wurden, gerieten in türkischen Städten zu Aufmärschen von Bürgern, die die Regierung aufforderten, endlich zurückzuschlagen. Angesichts dieser Stimmung gilt als sicher, dass das Parlament Anfang kommender Woche einer Regierungsvorlage zustimmen wird, die die Armee ermächtigen wird, alle Schritte, einschließlich grenzüberschreitender Aktionen in den Nordirak, vorzunehmen, um „dem Terror der PKK ein Ende zu setzen“.

Die gestern in Washington verabschiedete Armenier-Resolution wird dazu führen, dass große Teile der Bevölkerung jetzt erst recht, trotz der US-Warnungen, für einen Einmarsch der Truppen in den Nordirak plädieren werden. Obwohl Premier Erdogan und Präsident Gül bekanntermaßen gegen eine Militäraktion im Nordirak sind, müssen sie angesichts der Empörung und der anhaltenden Angriffe der PKK – gestern Abend wurde in Diyarbakir erst wieder ein Polizist durch eine Handgranate getötet – jetzt Entschlossenheit demonstrieren. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 12.10.2007/red/APA)