Stockholm - Welche Funktion einzelne Gene haben und welche Krankheiten aus defekten Erbanlagen entstehen, wissen Forscher vielfach erst dank der Arbeit der diesjährigen Nobelpreisträger für Medizin. Mit ihrer Technik lässt sich bei Mäusen im Prinzip jedes gewünschte Gen gezielt ausschalten. Mit der auf den Arbeiten von Mario Capecchi, Oliver Smithies und Martin Evans basierenden Methode werden Mäuse genetisch so "konstruiert", dass man die Funktion einzelner Gene und somit auch deren Defekte untersuchen kann. An diesen Tiermodellen - inzwischen rund 500 - lässt sich stellvertretend für den menschlichen Patienten auch nach neuen Therapien forschen.

Der Clou liegt in den "Knock-Out"-Mäusen, bei denen jeweils ein Gen gezielt ausgeschaltet wurde. Inzwischen gibt es mehr als 10.000 "Knock-Out"-Maus-Stämme. Damit lernen Wissenschafter, welche Erbanlagen die Entwicklung der Organismen steuern, wie sich Zellen miteinander unterhalten, wie das Nervensystem wächst oder wie Krebs entsteht.

Das jetzt ausgezeichnete Prinzip ist einfach: Wer wissen will, was ein Gen in der Maus tut, muss es zerstören. Die Folgen dieses Ausfalls zeigen, welche Aufgabe die betreffende Erbanlage im gesunden Tier hat. Dies lässt sich mit der Arbeit eines Mechanikers vergleichen, der aus einem unbekannten Uhrwerk ein Zahnrad entfernt und dann prüft, welche Zeiger verkehrt laufen. Die diesjährigen Preisträger haben in den achtziger Jahren einen Weg gefunden, einzelne "Zahnräder" aus der Maus zu entfernen. Dafür wird ein kleines, trickreich verändertes Stück der Erbsubstanz DNA in die Zellen geschleust, das gezielt eines von tausenden Genen ersetzt und damit ausschaltet.

Mittel der Wahl

Knock-Out-Mäuse sind das Mittel der Wahl, wenn man die Funktion von Genen verstehen will. Vor der Erfindung des Verfahrens war das nur in Zellkultur möglich - und die ist unvergleichlich mit der Auswirkung von Genveränderungen am ganzen Organismus.

Auch viele Erbkrankheiten des Menschen haben ihre Ursache in einer defekten Erbanlage - etwa das Atemleiden Mukoviszidose. Auch dieses wurde in Mäusen gezielt nachgebaut - am Menschen verbieten sich solche Experimente naturgemäß. Mausmodelle sind die Grundlage der medizinischen Forschung, ihr Organismus steht stellvertretend für den Menschen. Damit lässt sich prüfen, wie ein potenzieller neuer Wirkstoff im Körper arbeitet. Kann er vielleicht die Funktion des ausgefallenen Gens kompensieren? Kann ein anderes Gen einspringen? Lässt sich gar eine Gentherapie entwickeln?

Dienstleister "bauen" "Knock-Out"-Mäuse

Die Herstellung einer "Knock-Out"-Maus dauert viele Monate, inzwischen erledigen einige Dienstleister diese Aufgabe. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist die Beschäftigung mit "Knock-Out"-Mäusen ein rapide wachsendes Forschungsgebiet. Fast täglich kommen neue Tiere hinzu. Die Zahl der Veröffentlichungen lässt sich kaum noch überschauen. In "naher Zukunft", so heißt es beim Karolinska- Institut, werden alle Mausgene - es sind mehr als 20.000 - einmal ausgeschaltet sein. Dabei kommt es - erwartungsgemäß - auch zu schwersten Fehlbildungen, deformierten Skeletten, versagenden Organen oder fehlenden Muskeln.

Unerwartet kam die Entscheidung der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm am Montag nicht. Alle drei Wissenschafter sind vielfach ausgezeichnet. 2001 erhielten Capecchi, Smithies und Evans bereits den US-amerikanischen Lasker-Preis, der als Vorbote des Nobelpreises gilt. "Alle drei wurden schon früher nominiert. Normalerweise geben wir solche Dinge nicht bekannt. Aber in diesem Fall ist das kein Geheimnis", hieß es Montag in Stockholm. (APA/dpa)