Alexej Simonow, Präsident der Stiftung zur Verteidigung der Glasnost, hat am Montag im Wiener Kreisky-Forum auf die anhaltend gefährliche Situation von Journalisten in Russland hingewiesen. Ein Jahr nach dem Mord an der "Nowaja Gazeta"-Reporterin Anna Politkowskaja kritisierte Simonow nicht nur die mangelnde Rechtsstaatlichkeit Russlands, die ihm zufolge ein Hauptgrund für die Bedrohung kritischer Medienvertreter sei. Auch die internationale Gemeinschaft und vor allem Europa, das sich sonst so der Freiheit und den Menschenrechten verschreibe, müssten sich ihrer Verantwortung bewusstwerden und endlich handeln. "Präsident Putin nur Protestbriefe zu schreiben ist sinnlos", sagte er.

Im Zeitraum von 1993 bis 2006 seien 211 Journalisten in Russland ermordet worden, so Simonow, der die Gewalt in drei Kategorien einteilte. Die erste Kategorie sind demnach "Unfälle", bei denen kritische Medienvertreter etwa im Straßenverkehr unter ungeklärten Umständen ums Leben kommen, die zweite tätliche Angriffe mit Messern oder Baseballschlägern, die nicht selten tödlich enden. Die dritte Kategorie sei die Ermordung durch gezielte Schüsse.

Behörden untätig

Allen drei Kategorien gemeinsam sei, dass die Täter meist nie gefunden würden. Die Behörden blieben entweder untätig oder würden die Ermittlungen vorzeitig abschließen. "Ein Jahr ist Anna nun tot, aber ihre Mörder laufen noch immer frei herum", kritisierte Simonow.

Viele Morde würden als Unfall deklariert, wie bei dem Redakteur der "Nowaja Gazeta", Igor Domnikow, der im Jahr 2000 von Unbekannten mit einem Hammer niedergeschlagen worden war und seinen Verletzungen erlag. Die meisten Journalistenmorde würden vorab geplant werden. Deshalb sei es so schwierig, die Hintermänner ausfindig zu machen. "Zeugenschutzprogramme gibt es in Russland nicht. Die Gerichte arbeiten nicht unabhängig, die Ausschüsse sind manipuliert."

"Jahr der Angst"

Nina Chruschtschowa, Wissenschafterin und Enkelin des sowjetischen Ministerpräsidenten Nikita Chruchtschow bezeichnete das Jahr seit dem Tod Politkowskajas als "Jahr der Angst" und spielte dabei auf die Pläne des russischen Präsidenten an, das Amt des Ministerpräsidenten nach den Parlamentswahlen im Dezember zu übernehmen. Solange Anna Politkowskaja offen über den Tschetschenien-Krieg und Korruption schreiben konnte, habe man trotz aller Angriffe Putins auf die Pressefreiheit, NGOs und eine unabhängige Rechtsprechung geglaubt, man sei frei.

50 Jahre nach der Entstalinisierung habe "die Angst wieder gewonnen". "Russland bewegt sich in die Zeit vor 1957 zurück", so Chruschtschowa, deren Großvater mit seiner Rede vor dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 das sogenannte Tauwetter und die Lockerung der Zensur in der Sowjetunion eingeleitet hatte.

Mord an Politkowskaja noch nicht geklärt

Am 7. Oktober 2006 war die bekannte russische Journalistin Politkowskaja in ihrem Wohnhaus in Moskau erschossen worden. Die Drahtzieher des Mordes sind noch immer nicht ausfindig gemacht worden. Zuletzt hatten die Ermittler die Täter in tschetschenischen Kreisen vermutet, auch ein ukrainischer Mafiaboss wurde festgenommen. Den russischen Behörden ist von Kritikern immer wieder vorgeworfen worden, die Aufklärung des Falles zu behindern. (APA)