Wie weit soll sie gehen und was folgt aus den unterschiedlichen Formen der "Anpassung" für die Politik eines Einwanderungslandes? Und was hat das alles mit der Debatte um die österreichische "Abschiebepraxis" zu tun?

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Wissen, was man will und wovon man redet

Beginnen wir mit einer kleinen Geschichte. Die Geschichte meiner Tante Hilde (und ihrer Familie), die als junge Frau mit ihrem Mann rechtzeitig aus Ostdeutschland nach Schweden – wo es Arbeit, Wohlstand und keine Diktatur gab – emigrierte: Sie war – die Zeiten waren anders und das Familienbild ein traditionelles – Hausfrau und Mutter. Als die Familie zu etwas Geld gekommen war, verlegte sie den Wohnsitz (der Mann arbeitete in einer nahe gelegenen Großstadt) in einen kleinen Ort. Hilde lebte im „tiefsten Schweden“, die Nachbarn und die Arbeitskollegen des Ehemannes waren vor allem Schweden ebenso wie die Freunde der Kinder. Zwei Zimmer wurden zeitweise an schwedische (männliche) Militärs vermietet (in der Umgebung fanden im Sommer Manöver statt). Hilde lernte Schwedisch, indem sie mit den Nachbarn und in den Geschäften Schwedisch redete, schwedische Zeitungen las und schwedisches Fernsehen sah (etwas anderes gab es damals in Falsterbo kaum); ihre Tochter heirate zuerst den einen, dann den anderen Schweden. Sie war Schwedin geworden, ohne es so richtig zu merken, und wenn sie mit den Besuchern aus Österreich Deutsch redete, flossen immer wieder schwedische Worte in das Gespräch ein. Sie war mehr Schwedin und oft offener als ihr Mann, der von seiner konservativen Grundeinstellung her so seine Probleme mit dem sozialdemokratisch-egalitären und liberalen Schweden der Palme-Jahre hatte und deshalb eine konservative – schwedische – Zeitung las. Beide hegten leicht nostalgische Gefühle für (das vormoderne) Deutschland, das sie oft besuchten, das ihnen aber immer fremder geworden war.

Szenenwechsel: Amina ist als Teenager verheiratet worden und dann zu ihrem Mann nach Wien gezogen. Sie ist Hausfrau und Mutter, weil er nicht will, dass sie arbeitet (auch wenn das Familienbudget damit angespannt bleibt): Zimmer zu vermieten haben sie keine und wenn sie welche hätten, käme die Vermietung an österreichische Männer sowieso nicht infrage. Sie kommt aus einem Dorf in Ostanatolien, woher auch ein paar andere Ehefrauen aus der Nachbarschaft stammen (viel mehr anderen Kontakt hat sie nicht; es gibt auch türkische Geschäfte im Umfeld, beim Gespräch mit der Lehrerin der Kinder fühlt sie sich nicht zuletzt wegen mangelnder Sprachkenntnisse unbehaglich, weshalb sie es tunlichst meidet), und die Österreicher/innen schauen sie so komisch an, wenn sie mit Kopftuch und wallendem Gewand außer Haus geht.

Der Ehemann liest – wenn überhaupt – eine türkische Zeitung und der TV-Satellit versorgt sie mit türkischen Programmen, wobei allzu „freizügige“ Programme abgeschaltet werden, in der Familie spricht man Türkisch. Der (konservative) Imam aus dem Gebetshaus im Wohnviertel macht klar, wie man zu leben hat und vor allem, wie nicht. Mit den Kindern gibt es manchmal Streit, aber der Sohn passt inzwischen schon darauf auf, dass sich seine Schwester nicht das herausnimmt, was er für sich als selbstverständlich ansieht. Die trägt inzwischen auch ein Kopftuch und die Familie hat auch schon den richtigen Ehepartner ausfindig gemacht.

Natürlich sind das zwei betont unterschiedliche Fälle. Wobei die Unterschiede aber nicht nur in der Persönlichkeit und dem wirtschaftlichen-sozialen Status (Mittelschicht und Unterschicht) und den damit verbundenen Chancen der Betroffenen begründet liegen. Integration vollzieht sich wesentlich auch durch das Eingebundensein in soziokulturelle Netzwerke und Institutionen. Kleine, eher verstreut lebende Gruppen von Einwanderern bzw. Einzelpersonen haben nur beschränkte Möglichkeiten, sich diesen Strukturen der Mehrheitsgesellschaft zu entziehen (es sei denn, sie werden von ihr ausgeschlossen). Die individuellen „Kosten“ von Nichtintegration sind jedenfalls hoch.

Sind umgekehrt die Einwanderergruppen genügend groß und lokal konzentriert, können eigene Netzwerke aufgebaut und angesichts der inzwischen stark verbilligten und leicht verfügbaren Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten (Internet!) auch intensive Beziehungen zur Herkunftsgesellschaft aufrechterhalten werden. Es kommt zur Ausbildung von Subkulturen, die es einem beträchtlichen Teil der Einwanderer erlauben, ihr Leben nur mit begrenzten Kontakten mit und teilweise in Isolation von der Mehrheitsgesellschaft zu führen. Diesfalls sind nicht nur die individuellen „Kosten“ von Nichtintegration niedriger, auch der Druck der Subkultur auf die/den Einzelne/n kann höher sein als jener der Mehrheitsgesellschaft.

Fordern und fördern ...

Ein weiterer Faktor ist die soziokulturelle Ähnlichkeit bzw. Kompatibilität der dominierenden Lebensformen und kulturellen Werte bzw. Normen der Herkunfts- mit jenen der neuen Mehrheitsgesellschaft: je geringer die Differenzen, desto niedriger die Integrationsbarrieren, je größer desto höher. Die Kombination beider Faktoren ist bei den jüngeren Einwanderungswellen gerade aus dem islamischen Raum weit häufiger als bei früheren (aus Süd- und Osteuropa) bzw. bei anderen Einwanderergruppen. Dies erklärt zu einem Gutteil die Ausbildung von Parallelgesellschaften (besser Subkulturen) in vielen europäischen Ländern, wie auch ihre „Vererbung“ an die nächste(n) bereits in den Zuwanderungsländern geborene(n) und aufgewachsene(n) Generation(en). Und das bedeutet neue Herausforderungen an die Mehrheitsgesellschaft, denen man sich in Österreich wie anderswo nur sehr begrenzt wenn überhaupt gestellt hat. Nur ist Ignoranz (eher die „linke“ Variante) oder emotionale Ablehnung (eher die „rechte“ Variante) eben kein taugliches Mittel, um neuen Herausforderungen zu begegnen. Die Erwartung, dass sich die Integration zumindest der zweiten Generation von alleine herstellen wird, ist ebenso naiv wie die Überzeugung, dass sie sich einfach durch Ver- und Gebote verordnen lässt. Ein Einwanderungsland benötigt nicht nur eine Zuwanderungspolitik (hier nicht das Thema), sondern auch eine Integrationspolitik. Wobei es grundsätzlich zwei Modelle gibt:

... oder nur dulden?

Eine enge Integration, die zwar nicht völlige Assimilation fordert, aber nur einen „Multikulturalismus light“ anstrebt (vereinfacht gesagt Kunst, Küche, Folklore, nichtchristliche aber „privatisierte“ Religion etc.). Dies bedingt eine forcierte Integrationsstrategie als Kombination von Hilfestellung, Förderung, und politischem, sozialem und kulturellem Druck. Oder eine lose Integration, die sich im Wesentlichen auf die Einhaltung der Rechtsordnung beschränkt. Multikulturalität heißt dann auch die (Anerkennung der) Existenz von subkulturellen Gegenwelten, die nicht säkularisiert oder von einem privatisierten Religionsverständnis geprägt, nicht individualisiert, ohne Gleichberechtigung der Geschlechter etc., sind bzw. sein können.

Beide Varianten haben ihre positiven wie negativen Seiten und verursachen Kosten – nicht nur finanzieller Art. Und obwohl es in der Realität immer Mischformen geben wird, sollte das Einwanderungsland doch eine Richtungsentscheidung für die eine oder die andere Variante treffen.

Was den zweiten Schritt mitbedingt, nämlich zu deklarieren, was man bereit ist, für die Umsetzung zu tun (und was in Kauf zu nehmen). Das wäre dann auch eine konkrete Basis für „Dialogkonferenzen“ u.ä. inklusive der Frage nach den entsprechenden Gesprächs- und Verhandlungspartnern. Natürlich ist das unbequem, weil man sich bei dieser Diskussion nicht einfach hinter rhetorischen Schleiern verbergen kann und den Ergebnissen auch ein höheres Maß an politischer Verbindlichkeit zukäme als vielen der derzeitigen Wortspenden.

Frage der Zuordnung

Die Debatte über das Thema 1: „Welche Integration wollen wir?“ – sollte dabei tunlichst, auch im Interesse der allgemeinen emotionalen Abrüstung, von der Behandlung anderer Themen getrennt werden. Als da sind: Thema 2: „Wie viele und welche Zuwanderer wollen wir?“ – Thema 3: „Sicherheitspolitik und Terrorismusbekämpfung.“ – Thema 4: „Asylregelungen.“ – Thema 5: „Der Umgang mit illegalen Zuwanderern“, speziell dann, wenn es sich um „falsche Asylwerber“ handelt, also um Personen, die (obwohl nicht politisch verfolgt) über die Stellung von Asylanträgen eine Aufenthaltsbewilligung in Österreich erhalten wollen; und damit im Zusammenhang die Fragen der einschlägigen Verfahrensdauer, Verhaltensweisen der österreichischen Behörden und humanitären Erwägungen. Der zurzeit diskutierte Fall „Arigona/Zogaj“ gehört eindeutig in die letzte Kategorie und hat – entgegen einem Gutteil der bisherigen Wortmeldungen – nichts mit Integrationspolitik zu tun.

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Der Autor ist Dozent für Politologie an der Universität Wien und Leiter der Sozialforschung bei Fessel-GfK. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2007)