1938 mit "Mitteln der Dienststelle des Reichsministers Dr. Seyss-Inquart" fürs KHM erworben: "Zwei Altarflügel mit Stiftern" von Maerten van Heemskerck.

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Thomas Selldorff über seinen Großvater, den Kunstsammler Richard Neumann (auf den zwei Porträts unten): "Er hat immer nur die positiven Seiten des Lebens gesehen."

Foto: STANDARD / Regine Hendrich
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... die bis 1938 seinem Großvater Richard Neumann gehört hatten. Nun besteht die Hoffnung, dass es auch im Kunsthistorischen Museum zu Restitutionen kommt.

Krems/Wien – Vor fünf Jahren ersuchte der Anwalt Alfred Noll die Stadt Krems um die Restitution zweier Ölgemälde von Johann Martin Schmidt. Sie hatten dem Industriellen Richard Neumann gehört, dessen Fall bereits seit 1998 bekannt ist. Doch die Sache wurde in die Länge gezogen: Bürgermeister Franz Hölzl behauptete noch im Vorjahr, Krems hätte die Bilder einst, in der NS-Zeit, gekauft.

Hölzl lenkte erst ein, als immer mehr Medien das heikle Thema aufgriffen. Die Berichte "über das zynische Vorgehen" würde das Ansehen der Stadt maßgeblich schädigen, empörten sich die grünen Gemeinderäte Maria Schwingenschlögl und Markus Gonaus: Sie würden sich "schämen", Vertreter einer Stadt zu sein, die "ohne Wimpernzucken" NS-Raubkunst ausstellt.

Schlechter Zustand

Am Mittwoch erhielt Thomas Selldorff, der Erbe, die beiden Kremser Schmidts offiziell zurück – im Rahmen eines Festaktes im Weinstadtmuseum. Nach Boston, wo der pensionierte Techniker mit seiner Familie lebt, kann er die Bilder aber (noch) nicht transportieren lassen: Sie sind in einem derart schlechten Zustand, dass die Farbe absplittern würde. Krems war fast sechs Jahrzehnte in Besitz der 2,2 Meter hohen Gemälde, die Kosten für die Restaurierung aber hat Selldorff zu bezahlen. Der Wert der beiden Bilder wird auf 100.000 bis 140.000 Euro geschätzt. "Sie sind keine Klimts", sagt Selldorff im Gespräch mit dem Standard. "Aber sie sind für unsere Familie sehr wichtig: als Erinnerung an Wien." Er möchte die Bilder daher auch nicht verkaufen. Aber aufgrund der Größe vielleicht einem Museum überlassen – als Leihgabe.

Sein Großvater, 1879 in Wien geboren, entstammte einer alten Textilfamilie: 1901, nach dem Studium der Philosophie in Heidelberg, trat er in das Unternehmen Neumann ein und wandelte es in eine Aktiengesellschaft um. "Bereits 1913 äußerte er konkrete Ideen zum Wohlfahrtsstaat", erzählt Selldorff und verweist auf ein von der Industriellenvereinigung herausgegebenes Bändchen: "Er war der Ansicht, dass man die Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer fördern muss. Das war für jene Zeit eine sehr progressive Einstellung. Er fühlte sich zudem für seine Arbeiternehmer verantwortlich – und weigerte sich, jemanden zu kündigen."

1938 wurde Neumanns Villa in der Hasenauerstraße 30 von Daisy Prinzessin Fürstenberg "arisiert", die NS-Behörden stellten einen Teil der bedeutenden Kunstsammlung sicher: Die zwei Kremser Schmidts gingen ans Städtische Museum Krems, das "hoch entzückt" war, zwei Altarflügel mit Stiftern von Maerten van Heemskerck und vier weitere Kunstwerke ans Kunsthistorische Museum.

Flucht nach Havanna

Neumann floh mit seiner Frau und seiner Tochter, Selldorffs Mutter, zunächst nach Paris und 1943 über die Pyrenäen nach Barcelona. "Von dort ging es mit dem Schiff nach Kuba, weil mein Großvater kein Visum für die USA hatte", sagt Selldorff, der zu jener Zeit bereits mit seinem Vater in den USA lebte. "Er arbeitete als Vorarbeiter in einer Textilfabrik, hielt Vorträge über Kunst und gründete die Kubanische Nationalgalerie."

1952 übersiedelten die Neumanns nach New York. Selldorffs Mutter machte sich einen Namen als Designerin von Krawatten für Dior, sein Großvater lebte in bescheidenen Verhältnissen. Verbittert über die Ungerechtigkeit sei er dennoch nicht gewesen, sagt Selldorff: "Er hatte alles verloren, aber er war ein Philosoph und ein Optimist. Eine neue Kunstsammlung aufzubauen – dafür fehlten die Mittel. Also sammelte er Briefmarken. Er hat immer nur die positiven Seiten des Lebens gesehen."

Hoffen auf Umdenken

Anfang des Jahrtausends nahm die Restitutionsforscherin Sophie Lillie im Zuge der Recherchen für ihr Handbuch Was einmal war über die enteigneten Wiener Kunstsammlungen mit den Erben nach Richard Neumann Kontakt auf. Thomas Selldorff übergab ihr ein Album über die einstige Kunstsammlung, das von seiner Mutter angelegt worden war. Und Lillie wurde fündig.

Nach der positiven Wendung in Krems hofft die Familie nun auch auf ein Umdenken beim Bund. Herbert Haupt, Archivar am KHM, ging 1998 in seiner "Sachverhaltsdarstellung" über die Erwerbungen in der NS-Zeit auch auf die Heemskerck-Altarflügel ein, die mit "Mitteln der Dienststelle des Reichsministers Dr. Seyss-Inquart" erworben worden waren: Er hält den Besitz kategorisch für "unbedenklich". Auch der Rückgabebeirat sprach sich bisher gegen eine Restitution aus.

Diese Tafeln hatte Neumann 1949 zurückgefordert. Im Jänner 1952 wurde das KHM zur Rückstellung verpflichtet. Doch dazu kam es nicht, denn das Denkmalamt verhängte eine Ausfuhrsperre: Neumann wurde zu einem Kuhhandel gezwungen. Er erhielt im Gegenzug für seine äußert wertvollen Kunstwerke bloß 3000 Dollar und ein eher unbedeutendes Gemälde von Goosen van der Weyden ... (Thomas Trenkler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.10.2007)