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Zur Person

Gerhart Baum (74) war während der SPD/FDP-Koalition Innenstaatssekretär (1972 bis 1978), dann bis 1982 Innenminister. Der FDP-Politiker klagt vor dem Verfassungsgericht gerade gegen Online-Durchsuchungen in Nordrhein-Westfalen.

Foto: Reuters
Deutschland darf sich nicht vom Terror mental beherrschen lassen. Das ist für Gerhart Baum (FDP) bis heute die Lehre aus der RAF-Zeit, in der er Innenminister war. Mit im sprach Birgit Baumann.

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STANDARD: Sie waren in der RAF-Zeit Innenminister. Kann man den RAF-Terror mit heutigen Bedrohungen vergleichen?

Baum: Kaum. Der islamistische Terror ist anonym, wahllos gegen die Bevölkerung gerichtet, zum Teil sind es Selbstmordattentäter. Die Motivation der RAF kam aus dem politischen Ansatz der Weltverbesserung, des moralischen Rigorismus. Die RAF war typisch deutsch in ihrer Maßlosigkeit und ihrem moralischen Dünkel, der dazu führte, dass die Terroristen, die Abgrenzung zu ihren Nazi-Vätern suchten, SS-Methoden wie Genickschüsse anwendeten. Wenn jetzt Deutsche bei Al-Kaida mitmachen, dann nur mit sehr schwachem Bezug zur deutschen Situation.

STANDARD: Warum war das Land damals so geschockt, dass es bis heute nachwirkt?

Baum: Die RAF war eine völlig neue Qualität von Kriminalität. Erstmals waren die Repräsentanten von Staat und Wirtschaft durch politische Täter bedroht. Wir haben den Fahndungsapparat angepasst und Gesetze geändert, aber zugleich wussten wir auch: Das waren Deutsche, oft Kinder aus gutem Haus. Die RAF ist nicht vom Himmel gefallen, sie war ein Zerfallsprodukt der linken Protestbewegung.

STANDARD: Hat der Staat damals stets richtig reagiert?

Baum: Die Stimmung war durch parteipolitischen Streit aufgeheizt, und auch der Staat hat einiges getan, was der RAF Sympathisanten zutrieb. Man denke an die kritikwürdigen Haftbedingungen oder die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg anlässlich des skandalösen Schah-Besuchs 1967. Wir haben keinen kühlen Kopf bewahrt, es gab hysterische Überreaktionen, wir schlitterten in einen mentalen Ausnahmezustand.

STANDARD: In Politiker-Reden war damals sogar vom „Krieg gegen Terroristen“ die Rede. War es wirklich so dramatisch?

Baum: Unsere freiheitliche Grundordnung war in keiner Sekunde wirklich bedroht. Wir waren herausgefordert, aber nicht gefährdet. Als dann die Terroristen vor Gericht standen, hatten wir die größten Probleme zurückzurudern. Denn angeklagt waren die Täter als Mörder. Sie selber wollten sich aber als Kriegsgefangene sehen.

STANDARD: Welche Lehren aus der RAF-Zeit gelten heute?

Baum: Dass wir immer mit Gefahren leben müssen. Wir sollten nicht die Angst zum Ratgeber machen. In den Siebzigerjahren haben wir diese nüchterne Distanz nicht immer gehabt und damit den Terroristen in die Hände gespielt. Wir müssen uns auch heute dagegen wehren, dass uns der Terrorismus mental beherrscht.

STANDARD: Sie sehen keine Notwendigkeit angesichts der aktuellen Terrorbedrohung, Gesetze zu verschärfen?

Baum: Nur, wenn ihre Erforderlichkeit nachgewiesen wird und sie verfassungskonform sind. Natürlich muss man neue Abwehrmöglichkeiten schaffen, aber das ist ja schon geschehen. Trotzdem wird weiterhin behauptet, das alles sei nicht genug. Und nun haben wir einen entgrenzten Präventionsstaat, der in großem Umfang Informationen über unverdächtige Bürger sammelt, weil die eines Tages Täter sein könnten. Das ist eine Rutschbahn in den Überwachungsstaat, wenn wir dagegen nicht endlich was tun.

STANDARD: Sehen Sie den Rechtsstaat gefährdet?

Baum: Er ist zumindest beschädigt, wie auch in anderen westlichen Demokratien. In den vergangenen Jahren wurde die Verfassung immer wieder verletzt. In acht Grundsatzurteilen – Rasterfahndung, großer Lauschangriff, Abschuss von Passagierflugzeugen – fiel das Verfassungsgericht der Regierung in den Arm. Dass die gesetzgeberischen Körperschaften systematisch die Belastbarkeit der Verfassung austestet, so etwas haben wir noch nicht erlebt.

STANDARD: Manche meinen, dann müsse man eben die Verfassung ändern.

Baum: Sie kann in Wesentlichen Grundsätzen nicht geändert werden. Das Prinzip der Menschenwürde in Artikel 1 hat Ewigkeitsgarantie, da zählt keine Mehrheit – sei sie auch noch so groß. 1977, unter Eindruck des RAF-Terrors, war die Mehrheit der Deutschen für die Todesstrafe. Aber die Mehrheit kann nicht der Maßstab sein. Wir werden durch die Verfassung gebändigt, das ist nach den Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat so gewollt. (Birgit Baumann, DER STANDARD, Printausgabe 12.10.2007)