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ZDF-Talkkultur (aus Sicht der Kritikerin, v. li.): J. B. Kerner, Eva Herman, Komitee gegen abweichende Meinungen.

Foto: AP/ZDF/O. Ollmer
Zwei Vorausschickungen: Erstens: Als Grünwählerin fühle ich mich politisch dem linksliberalen Spektrum zugehörig. Die "andere Seite" ist für mich keine diskutable Option, war nie eine, könnte nie eine sein. Zweitens: Eva Herman ist mir, aufgrund des Wenigen, das ich bis zu ihrem TV-Auftritt bei Kerner über sie wusste, durch und durch unsympathisch. Ihr Auftreten, das zynische Zucken um ihre Mundwinkel, die ständig ironisch spielenden Augenbrauen, verbessern meine Meinung kein bisschen.

Aber nicht sie ist das Problem der Gesprächsrunde.

Kerner ist bestimmt kein schlechter Moderator. Senta Berger ist bestimmt keine dumme Frau. Schreinemakers ist, so sagt die Einblendung, Diplom-Soziologin.

Der zurate gezogene Historiker wird sicherlich die Geschichte des Dritten Reiches eingehend und langjährig studiert und analysiert haben.

Mediale Hinrichtung

Und doch, dieses Zusammentreffen intelligenter, liberaler Menschen, scheint keinen anderen Zweck zu verfolgen, als einen als persona non grata befundenen Menschen medial hinzurichten. Man wirft Herman vor, ihren Standpunkt nicht zu verlassen (den man sie aber auch nie in Ruhe klarstellen lässt), bemerkt dabei aber gar nicht, dass der - ach so liberale! - Ausgangspunkt schon vor Gesprächsbeginn festgelegt war. Herman = böse, wir = gut, ergo: Auf sie mit Geschrei.

Ich korrigiere: Kerner ist sogar ein sehr schlechter Moderator. Er erntet Applaus für seine "couragierte" Entscheidung - aber was passiert wirklich? Kerner lässt sich von seiner persönlichen Einstellung, seiner Gesinnung bzw. seinen Sympathien und Antipathien derart leiten, dass keinerlei Widerspruch geduldet wird. Von vorne herein wird Herman - ohne Prozess und ohne Fürsprecher - als Schuldige behandelt. Nicht zu unrecht bekrittelt Herman, Kerner habe einen Historiker bestellt, der seine Position unterstützt, während es viele andere gäbe, die ihre Aussage, anstatt sie zu zerfetzen, relativieren würden, ohne dabei den Nationalsozialismus gutzuheißen.

Noch dazu bemerkt Kerner nicht, dass fast während des gesamten Gesprächs zwei völlig unzusammenhängende Themen durcheinandergemischt werden. Auf der einen Seite Hermans "NS-Sager", auf der anderen Seite die Inhalte ihrer Bücher zum Thema Frau und Familie. Der Strick, der "sich" daraus dreht, muss fast zwangsläufig jede konstruktive Diskussion im Keim erwürgen. Vier post-moderne liberale Emanzen beiderlei Geschlechts stürzen sich auf die unerwünschte Konservative und greifen sie abwechselnd ihrer Aussagen und ihres Wertesystems wegen an, im Irrglauben, beides sei ein und dieselbe Sache.

Schlimmer noch: Man hätte sie in diesem Rahmen, das vermittelt der Diskussionsverlauf nur allzu deutlich, auch ohne den kolportierten Verbal-Skandal so oder so ideologisch in der Luft zerrissen. Nach dem Motto: Liberal ist, was fortschrittlich ist. Und was fortschrittlich ist, bestimme ich. Gegenüber "konservativ" gescholtenen Werte (sei es Religion, seien es traditionelle Familienmodelle), gibt es in so einem Liberalismusverständnis wenig Toleranz, wenig Verständnis, wenig Freiraum. Persönliche Freiheit und individuelle Entfaltung, ja gerne, aber nur zu unseren Bedingungen!

Dass Eva Herman in Anbetracht dieser feindlichen Atmosphäre ein zunehmend unkooperativer Gast ist, verwundert kaum. Der Auftritt in Kerners Sendung hätte eine Möglichkeit sein können, ihr öffentliches Gesicht zu wahren oder wiederzuerlangen, oder sich klar zu positionieren. Die Chance dazu wurde ihr aber gar nicht erst zugestanden. Der Moderator entscheidet sich für die ihm angenehmeren Gäste, die mit der schwierigen Situation nicht zurecht kommen - Senta Berger droht, zu gehen, unter anderem weil sie Hermans Bücher nicht kennt und deshalb nicht mitreden kann (!) - und Herman wird des Saales verwiesen.

Zulässige Frage?

Möglich, dass der Aufschrei nach Hermans Aussagen gerechtfertigt war. Möglich, dass die Ex-Moderatorin tatsächlich mehr mit dem Nationalsozialismus verbindet als der Vorname. Möglich, dass Eva Herman wirklich nicht nur eine konservative Familienverfechterin, sondern eine Apologetin des Dritten Reichs ist. Ich weiß es nicht. Als Privatperson darf ich mir aber erlauben zu sagen: Mir ist das jetzt im Moment - in dem Moment, in dem ich über die eben bezeugte linke Gesprächskultur nachdenke - vorerst einmal ziemlich egal.

Denn selbst wenn es so wäre - und trotz alledem. Darf man, frage ich mich, als seriöser Journalist, als seriöser Fernsehmoderator, als seriöser Liberaler, eine Diskussion so führen, so entgleiten lassen, und so beenden? (DER STANDARD, Printausgabe, 12.10.2007)