Ab dem Mai kommenden Jahres sollen die Sprachkenntnisse aller viereinhalb- bis fünfjährigen Kinder im Kindergarten überprüft werden.

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Das erste verpflichtende Bildungsmonitoring für Kleinkinder startet im Mai kommenden Jahres. Dabei müssen sich die Viereinhalb- bis Fünfjährigen Sprachtests unterziehen. Bei Sprachschwächen werden die Kinder zu einem einjährigen Kindergartenbesuch mit Sprachförderung verpflichtet.

Als "wissenschaftlich falsch, unbegründet und sprachpädagogisch schädlich" bezeichnet das Netzwerk SprachenRechte, ein Zusammenschluss von SprachwissenschafterInnen, Aussagen, die die Leiterin des Projekts "Frühkindliche Sprachstandsdiagnostik" im Gespräch mit derStandard.at tätigte.

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Die Behauptung, es sei aus sprachwissenschaftlicher Perspektive möglich, festzulegen, welche sprachlichen Fähigkeiten Kinder im Alter von viereinhalb bis fünf Jahren haben sollten "Es muss klar und deutlich vorgegeben sein, was die Kinder können sollen. Die Beurteilung soll ja objektiv und fair sein", widerspricht allen vorliegenden Erkenntnissen zur Sprachentwicklung von Kindern.

Die kindliche Sprachentwicklung vollzieht sich in größeren Entwicklungsphasen sehr individuell und in starker Abhängigkeit von den jeweiligen Lebenskontexten. Sie ist keinesfalls in begrenzten Momenten, auch nicht an einem halben Tag, "objektiv und fair" erfassbar. Die Erstellung eines einheitlichen Maßes, das als "Maßstab" für die Beurteilung sprachlicher Kompetenzen herhalten soll, ist aus psycholinguistischer Sicht problematisch und kritisch zu betrachten. Folgende Gründe sind dafür anzuführen:

  • 1. Sprachkompetenzen sind in kurzen Beobachtungsverfahren, und auch ein halbtägiges Verfahren ist in Hinblick auf die Komplexität von Sprachkompetenz ein kurzer Moment, nicht feststellbar. Solche Verfahren laufen Gefahr Performanz mit Kompetenz zu verwechseln.

  • 2. Solche Verfahren negieren die Zwei- oder Mehrsprachigkeit von Kindern mit Migrationshintergrund. Die in einem Testverfahren punktuell und eingeschränkt erhobene Performanz des Deutschen lässt keine Rückschlüsse auf die "sprachlichen Fähigkeiten" von mehrsprachigen Kindern zu.

  • 3. Was von politischer Seite gefordert wird, nämlich eine Art "Bildungsstandard" für Vierjährige zu schaffen, ist aus wissenschaftlicher Perspektive völlig absurd. Im Bezug auf die frühe Sprachentwicklung, keineswegs nur, aber vor allem von mehrsprachig aufwachsenden Kindern, kann keine "Normalitätsannahme" ausschließlich in Bezug auf das Alter empirisch nachgewiesen werden. Ganz im Gegenteil ist sich die Spracherwerbsforschung bis dato einig, dass es gerade bei der Frühförderung eines Höchstmaßes an individueller Orientierung an den Bedürfnissen der Kinder bedarf.

  • 4. Statt isolierter Tests (und auch ein halbtägiges Verfahren ist als solches zu bewerten) sollte "eine in die Entwicklung einer allgemeinen Frühförderung eingebettete Förderdiagnostik Platz greifen", wie bereits im Abschlussbericht der Zukunftskommission festgestellt wurde. Dort heißt es weiter: "Mit der Förderdiagnostik sind zugleich Förderstrategien zu erarbeiten, die über die Frühförderung hinausreichen." In den vorgestellten Verfahren – z.B. Klatschen – bleibt ungeklärt, welche Funktion diese in Hinblick auf anschließende Fördermaßnahmen haben.

    Es ist uns wichtig festzuhalten, dass jegliche Form sprachlicher Frühförderung nie ausschließlich die kognitiven Kompetenzen und die deutsche Sprache alleine im Blick haben darf, sondern die gesamt emotionale, kommunikative und kreative Entwicklung von Kindern berücksichtigen muss. Dabei ist die Anerkennung und Stärkung der Muttersprachen von zweisprachig aufwachsenden Kindern essentiell.

    Wir bedauern sehr, dass Argumente der Wissenschaft, bisher nicht gehört und einbezogen wurden. Die Behauptung, das in dem Artikel dargestellte Vorgehen sei sprachwissenschaftlich fundiert, entspricht nicht den Tatsachen – als SprachwissenschafterInnen verwahren wir uns gegen die Verdrehung und Unterdrückung der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und Einwände. So, wie das Projekt vorgestellt wurde, schadet es den Kindern und bringt keineswegs den gewünschten Erfolg, d.h. es stellt auch eine Verschwendung öffentlicher Mittel dar. (Verena Plutzar, Hans-Jürgen Krumm, Rudof de Cillia für das Netzwerk SprachenRechte/derStandard.at, 12. Oktober 2007)