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Zur Person: Die Schweizer Juristin und Publizistin Gret Haller, Jahrgang 1947, lehrt an der Goethe-Universität in Frankfurt.

Foto: APA/epa/Laurent Gillieron
Die Schweizer Publizistin Gret Haller über das unterschiedliche Menschenrechtsverständnis von USA und Europa und den Spezialfall Polen. Das Gespräch führte Julia Raabe.

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STANDARD: Der Kampf gegen den Terrorismus stellt die Menschenrechte vor Herausforderungen. Muss man Kompromisse machen, wenn man Sicherheit will?

Haller: Nein. Die Menschenrechte sind kompromiss-unfähig. Sie dürfen auch durch die Bekämpfung des Terrorismus nicht eingeschränkt werden. Wenn man das macht, hat man nicht begriffen, was Menschenrechte sind. Ich halte die Diskussion, die Sicherheit über die Freiheit zu stellen, für die Falle, die Terroristen den Demokratien und den Gesellschaften stellen, welche die Menschenrechte möchten. Wenn man in diese Falle hineintappt, hat man das gemacht, was die Terroristen möchten.

STANDARD: Ist das Ihrer Meinung nach passiert?

Haller: In den Vereinigten Staaten sicherlich stärker als in Europa. Ich hoffe, dass Europa aufgrund seiner Geschichte mit den Menschenrechten fähig sein wird, dieser Entwicklung zu widerstehen.

STANDARD: Es gab gerade im Anti-Terror-Kampf Maßnahmen der USA, die auch in Europa einen Aufschrei ausgelöst haben, wie etwa Guantánamo. Liegt da ein unterschiedliches Verständnis der Menschenrechte vor?

Haller: Ja, in gewissen Elementen. Die Französische Revolution hat die Menschenrechte untrennbar mit der Volkssouveränität verknüpft. Wenn man das europäische Menschenrechtsverständnis genau nimmt, kann man die Menschenrechte nicht geschenkt oder aufgezwungen bekommen – man kann sie sich nur nehmen. Deshalb kann man auch keine militärischen Interventionen machen, um sie den Menschen zu schenken.

In den USA sind die Freiheitsrechte in der Verfassung das Universum, das eigentlich alles überstrahlt. Man kann das exportieren, man hat eine Mission, das als Geschenk zu bringen

STANDARD: Auch europäische Staaten haben den Irakkrieg zum Beispiel mitgemacht.

Haller: Manchmal haben einzelne Staaten Rückfälle, das gehört zu jeder Entwicklung, damit muss man umgehen. Man sieht auch schon Korrekturprozesse, wenn Sie jetzt Großbritannien meinen. Ein Unterschied ist auch, dass die US-amerikanische Nation unter anderem moralisch begründet wird. Wenn man dort die Nation beleidigt, kann einem die Würde abgesprochen werden. Das gibt es in Europa nicht mehr.

In der Tendenz haben die US-Amerikaner ein Verständnis der Freiheitsrechte, welches national konnotiert ist. Die US-Amerikaner wissen zwar, dass es auch die internationalen Kategorien gibt, die völkerrechtlichen, aber die sind für sie nebensächlich. Menschenrechte sind für die europäischen Staaten eine internationale Kategorie, auch stark eine rechtliche Kategorie. Für die US-Amerikaner sind sie ein politisches Kampfinstrument, ein Mittel zum Zweck.

STANDARD: Zur EU: Auch hier gibt es Differenzen. Stichwort Polen und die Todesstrafe.

Haller: Das ist eine ganz große Herausforderung für Europa. Die Polen haben es ja mit dem Schwangerschaftsabbruch kombiniert. Das ist Vatikan in Reinkultur. Der Katholizismus spielt für die Definition der polnischen Nation eine ganz große Rolle.

Von daher gibt es eine gewisse Ähnlichkeit zu den Vereinigten Staaten. Das unterscheidet Polen von den meisten anderen. Das erträgt Europa. Aber man muss natürlich immer wieder sagen, dass mit dem Westfälischen Frieden 1648 die Religion der Staatlichkeit untergeordnet wurde. Der Vorschlag, die 26 EU-Staaten sollen einen Europäischen Tag gegen die Todesstrafe eben ohne Polen beschließen, ist eine gute Idee. (DER STANDARD, Printausgabe, 13./14.10.2007)