Bild nicht mehr verfügbar.

In den 50er-Jahren lebten 13.000 Menschen in Eisenerz - 4200 Menschen waren auf dem Erzberg beschäftigt. Heute sind es nur mehr 200. Auch wenn damals wie heute zwei Millionen Tonnen Erz im Jahr abgebaut werden.

Foto: APA
Eisenerz – In der Pizzeria "Il Foraio" kostet eine Pizza "Paula" noch immer 85 Schilling. Das Lokal in der Innenstadt von Eisenerz ist schon so lange geschlossen, dass auf der Speisekarte im Fenster noch immer der Schilling- vor dem Eurobetrag steht. Im Lokal liegt neben der Theke eine Klomuschel als einziges Inventar auf dem braunen Fliesenboden.

"Zu vermieten", "Zu verkaufen", "Wir danken für Ihr Vertrauen" – an jeder zweiten Auslagenscheibe der Geschäfte rund um den Bergmannplatz kleben Zettel mit Telefonnummern. Einige sind bereits so vergilbt, dass sie wohl schon lange hängen müssen. Die historischen Häuser mit den bunten Fassaden, die teilweise aus dem 16. Jahrhundert stammen, stehen leer – die Geschäftslokale ebenso wie die Wohnungen darüber. Eisenerz ist seinen 5500 Einwohnern zu groß geworden. 700 Wohnungen stehen leer. Wasserleitungen und Kanalisation sind mittlerweile überdimensioniert. Die Innenstadt verödet, die Siedlungen mit den ehemaligen Werkswohnungen verfallen. Die Jungen sind fortgegangen, das Durchschnittsalter liegt bei 50 Jahren, Eisenerz hat österreichweit die ältesten Bewohner.

Nur mehr 200 arbeiten auf dem Erzberg

In den 50er-Jahren lebten 13.000 Menschen in der ober-steirischen Bergbaustadt. Waren damals 4200 Menschen auf dem Erzberg beschäftigt, sind es heute nur mehr 200. Auch wenn damals wie heute zwei Millionen Tonnen Erz im Jahr abgebaut werden. Bürgermeister Gerhard Freiinger (SP) möchte seine Stadt auf das richtige Maß schrumpfen. "Es gibt keinen anderen Weg", sagt Freiinger fröhlich, das hätten die Eisenerzer auch erkannt. "Wahnsinnig spannend" sei das Projekt, an dem sein ganzes Herz hänge – und das der Bürgermeister mit unerschütterlichem Optimismus angeht. Das Land hat in einem ersten Schritt vier Millionen Euro bereitgestellt. Bis 2021 sollen 700 Wohnungen abgerissen, 500 weitere saniert sein.

Der Rückbau hat im August begonnen. Als erstes Gebäude wurde die alte Hauptschule abgerissen. Auch in der Europa-Siedlung wurde bereits ein Block geschleift. Wie es für die Eisenerzer sei, dass Teile ihrer Stadt verschwinden? Der Hauptschul-Abriss habe durchaus Symbolcharakter für das gesamte Projekt gehabt, sagt der Bürgermeister. In der Tat erzählt man sich in Eisenerz die Reaktion zweier Männer, die dem Abbruch zuschauten: Der eine sagte: "Schade, da bin ich in die Schule gegangen." Darauf erwiderte der andere: "Ich auch, und das waren meine schlimmsten Jahre. Gottseidank ist die weg."

Dass er selbst kein gebürtiger Eisenerzer ist und erst seit 1991 dort lebt, sieht Freiinger durchaus als Vorteil. "Viele sehen nur den Niedergang der Stadt, ich kann immer noch ihre Schönheit erkennen." Man müsse den Menschen Zeit geben, emotional mit dem Tempo des Umbaus mitzuhalten. "Es darf aber nicht so langsam sein, dass keine Dynamik mehr drin ist", sagt der 49-jährige studierte Jazz-Trompeter.

Idee Ferienwohnungen

Wenn Freiinger über den Bergmannplatz geht, erzählt er zwischen Händeschütteln, einem "Hallo" hier, einem "Grüß Sie" dort von seiner Idee, den Platz zu überdachen und Wohnungen für Künstler in den Häusern einzurichten. Die ehemaligen Werkswohnungen in der Siedlung Münichtal sollen zu Ferienappartements umgebaut werden. Ein Investor hat bereits Interesse bekundet. Wenn daraus nichts werde? "Dann wird die Anlage geschleift", sagt Freiinger. Obwohl, Ferienwohnungen wären für die Art von Tourismus, die sich der Bürgermeister vorstellen kann, ideal, sagt er selbst: "Alles, was spannend und extrem ist." Kletterer und Mountainbiker, philosophiert er, stiegen mit ihren Gerätschaften sicher lieber in einem Apartment ab als in einem Hotel. Und obwohl er die Zukunft von Eisenerz nicht nur im Tourismus sehe, habe "seine" Stadt ein ähnliches Potential wie Venedig, sagt Freiinger lachend: "Bei uns bröckelt auch der Verputz." (Bettina Fernsebner-Kokert/DER STANDARD – Printausgabe, 13./14.10.2007)