"Der Kosovo kann nicht selbstständig existieren, er muss den Anschluss an Albanien anstreben", sagt Ivan Ivanji.

Zitiert:

Im seinem soeben erschienenen Buch erinnert sich Titos Dolmetscher Ivan Invanji auch an Begegnungen des jugoslawischen Staatschefs mit österreichischen Spitzenpolitikern:

"Bei dieser Gelegenheit zeigte er wieder einmal seinen Witz. Präsident Jonas war als erster hinüber nach Slowenien gekommen und nun fuhren die Präsidenten im Auto über die neue Brücke. Ich saß vorne beim Chauffeur. Natürlich sprachen die beiden Präsidenten Deutsch.

"Eigentlich sollten wir diese Brücke Franz-Josef-Brücke taufen!", schlug Tito vor. "Wieso?", fragte der alte Sozialdemokrat und Republikaner Jonas entsetzt. "Nun", erklärte Tito: "Franz Jonas und Josef Broz Tito!" - 1968, Eröffnung der Mur-Brücke bei Radkersburg mit Tito und Bundespräsident Jonas

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"Wenn er jedoch auch nur einen Schritt machte, teilte sich vor ihm höflich - fast würde ich sagen: ehrfurchtsvoll - die Masse der Präsidenten und Minister, ganz so, wie das Rote Meer vor Moses.

Das muss man gesehen haben, um zu verstehen, wie hoch das Ansehen dieses auf dem Balkan geborenen Bauernsohnes und ehemaligen Schlossers war." - Titos Auftritt beim KSZE-Gipfel 1975 in Helsinki.

Foto: Regine Hendrich
15 Jahre arbeitete Ivan Ivanji als Dolmetscher für den jugoslawischen Staatschef Josip Broz Tito. Josef Kirchengast berichtete er über Titos Idee einer Balkan-Föderation. Und er erzählte, warum es dem Präsidenten fremd war, Kroate oder Serbe zu sein.

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STANDARD: Sie schreiben einleitend, dass Sie das Buch bewusst mehr oder weniger anekdotisch anlegen und sich nicht in die große Politik begeben. Sind Sie zu der Erkenntnis gekommen, dass die große Politik im Rückblick relativ klein wird?

Ivanji: Es entsprang durchaus einer anderen Überlegung, nämlich, dass ein Buch, das sich mit dieser Zeit ernsthaft historisch beschäftigen würde, Zugang zu allen Archiven haben müsste. Aber der Zugang zu den jugoslawischen Archiven ist vollkommen verstopft. Vielleicht war es auch ein bisschen Faulheit. Es ist einfacher, sich zu erinnern und zu sagen: Was nicht wichtig war, habe ich vergessen, als in den Archiven schwere Arbeit zu leisten.

STANDARD: Sie äußern sich im Epilog noch einmal mit ziemlicher Hochachtung für Tito, den sie mehr als 15 Jahre als Dolmetscher begleitet haben. Klingt da Nostalgie für das alte Jugoslawien mit und eine gewisse Trauer darüber, dass es letztlich nicht Bestand hatte?

Ivanji: Es war die beste Zeit meines Lebens, und ein wenig selbstironisch und skeptisch füge ich hinzu, es war ja auch das beste Alter in meinem einzigen Menschenleben.

STANDARD: Hätte man dieses Jugoslawien retten können? Und wenn, wie?

Ivanji: Ich habe damals geglaubt, dass man es erhalten muss. Ich glaubte, dass das, was man kurz mit den Begriffen Selbstverwaltung und Blockfreiheit zusammenfassen kann, das Beste unter diesen geografischen und historischen Gegebenheiten war, was man machen konnte. Es tut mir heute furchtbar leid, dass meine Gegner in den Gesprächen damals Recht behalten haben, als sie sagten: "Wenn es Tito nicht mehr gibt, fällt alles auseinander."

STANDARD: Worauf gründete Ihre damalige Hoffnung?

Ivanji: Unsere Hoffnung war immer die Schweiz. Wir dachten: Dort leben Deutsche und Franzosen und Italiener und etwas ganz Exotisches, die Rätoromanen, und zugleich sind sie auch Schweizer. Ich habe gedacht: Vielleicht gelingt das, dass man Serbe, Kroate, Mazedonier, Albaner in Jugoslawien ist und Jugoslawe. Das ist leider nicht gelungen, das muss man leider feststellen.

STANDARD: Es wurde immer wieder vermutet, Tito sei für sein Jugoslawien die Habsburger-Monarchie als Modell vorgeschwebt. Er war ja kroatischer Unteroffizier in der k. u. k. Armee, und seine Amtsführung als Staatschef trug ja durchaus monarchische Züge. Ist was dran an dieser Deutung?

Ivanji: Ich glaube nicht. Man hat ihn den letzten Habsburger genannt, auch und gerade in Österreich. Er hat das gewusst, und es hat ihn amüsiert. Aber seine Konzeption, seine noch unausgegorene Idee bei Kriegsende 1945 war eine Balkan-Föderation, wo das ganze Jugoslawien mit Bulgarien und Albanien in einem Land gewesen wäre. Und wenn man die Kosovo-Politik Titos analysiert - was heute wichtig wäre, was man aber nicht tut -, dann sieht man, dass die darauf ausgerichtet war, Albanien eines Tages zu umarmen.

STANDARD: Titos Gegner haben ihn, wie Sie schreiben, als Serbenfresser bezeichnet. Slobodan Milosevic hat nach dem Zerfall Jugoslawiens seinen Nationalismus mit Anti-Tito-Ressentiments unterfüttert. Mit der jugoslawischen Verfassung von 1974 wurden von Serbien der Kosovo und die Vojvodina als autonome Provinzen quasi abgetrennt. Wollte man die Serben damit gezielt schwächen?

Ivanji: Eine Idee Titos war das sicher nicht. Er und seine Mitarbeiter haben überhaupt nicht national gedacht. Sie haben in Klassen gedacht, nicht in Nationen und Rassen. Einem Tito war es vollkommen fremd, Kroate oder Serbe zu sein. Er hat immer vermieden, zu sagen, welche Sprache er spricht. Er nannte sie "unsere Sprache", statt dieses blöde Serbokroatisch oder Kroatoserbisch. Das "Wir" war jugoslawisch, und die Idee war marxistisch-sozialistisch, mit neuen Aspekten, sagen wir dazu.

STANDARD: War das nicht der entscheidende Fehler: in der Absicht, den Nationalismus zu überwinden, die Nation zu leugnen.

Ivanji: Die Hoffnung war, wie gesagt, die Schweiz: dass beides auf einmal geht. Nicht die kulturelle und historische Zugehörigkeit zu leugnen, sondern ein anderes Zugehörigkeitsgefühl aufzubauen. Ich rede von unseren Illusionen.

STANDARD: Der serbische Nationalismus wurde, wie Sie in Ihrem Buch schreiben, durch das Nato-Bombardement 1999 enorm gefördert. Der Krieg habe nur Milosevic genützt und liefere den Ultranationalisten bis heute Argumente. Das heißt, es verhindert auch eine Lösung des Kosovo-Konflikts.

Ivanji: Natürlich weiß die überwältigende Mehrheit der Serben, dass der Kosovo verloren ist. Aber dumm ist man beiderseits. Wenn ich ein kosovo-albanischer Politiker wäre, würde ich sagen: Selbstverständlich wählen wir in Serbien mit. Dann stellen wir die drittgrößte Partei, ohne uns geht nichts mehr. Und in 30 Jahren haben wir dank unseres Geburtenüberschusses in ganz Serbien die Mehrheit, ohne kämpfen zu müssen.

STANDARD: Warum machen das die Kosovo-Albaner dann nicht?

Ivanji: Die albanischen Interessen sind nach dem Süden ausgerichtet. Kein Albaner sagt es, aber jeder denkt es: dass es ungerecht ist, dass die Albaner verstreut im Kosovo, in Albanien, in Montenegro, in Serbien und in Griechenland leben müssen. Und die Regierungen Europas und der USA sind schlecht beraten, wenn sie nicht sehen, dass dieser Dominoeffekt erfolgen wird, tue man, was man wolle. Der Kosovo kann nicht selbstständig existieren, er muss den Anschluss an Albanien anstreben. Und vielleicht hat Tirana davor mehr Angst als Belgrad. (DER STANDARD, Printausgabe, 13./14.10.2007)