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Er ist allgegenwärtig, füllt ganze Stadien und predigt einen "neuen Sozialismus": der Präsident Venezuelas, Hugo Chávez.

Foto: EPA
Selbst für einen Hugo Chávez war das eine starke Woche. In seiner sonntäglichen Fernsehshow versuchte der 53-jährige Präsident, der Venezuela seit 1999 zunehmend als One-Man-Show führt, seinen 27 Millionen Landsleuten das Konsumdenken auszutreiben.

Die vielen Autoimporte schadeten der Wirtschaft. Dass Venezuela zu den größten Verbrauchern von teurem Whisky gehöre, sei eine Schande, die Steuern dafür und für andere Luxusartikel würden erhöht.

Am Montag versprach er den Spitalsärzten, die weniger als 300 Euro im Monat verdienen, 60 Prozent Lohnerhöhung ab 1. November. Während er zwischendurch seine Vermittlung eines Geiselaustausches in Kolumbien fortsetzte, sang und tanzte er am Donnerstag im Stadion von Caracas mit 14.000 rot gekleideten Aktivisten seiner neuen "Sozialistischen Einheitspartei Venezuelas" (PSUV). Am Sonntag wollte er in Kuba des Todes von Che Guevara vor 40 Jahren gedenken.

"Bank des Südens"

Chávez' Mitarbeiter machten inzwischen eine den Halbkontinent umfassende "Bank des Südens" startklar, die eine sozialistische Entwicklungsalternative zur verhassten Weltbank und zum Währungsfonds bieten soll. Oder sie empfingen eine der zahlreichen Wirtschaftsdelegationen, die nach Caracas strömen, seit Venezuela mit seinen hohen Öleinnahmen und Wachstumsraten um die zehn Prozent wie ein südamerikanisches Gegenstück zu China betrachtet wird.

Wenn die Besucher vom Flughafen an den ausgedehnten Armenvierteln auf den Hügeln um Caracas vorbei ins Zentrum mit seinem ewigen Megastau und den völlig abgewohnten Appartementtürmen kommen, sehen sie gleich, dass hier noch sehr viel zu investieren ist. Und im Gegensatz zu anderen Ländern der Region hat Venezuela viel Geld, derzeit an die 18 Milliarden Dollar (knapp 13 Milliarden Euro), zum Ausgeben bereitliegen. Kraftwerke und ganze Industrien wollen die "Chávistas" aus dem Boden stampfen, 15 neue Spitäler sind in den nächsten vier Jahren geplant, mehrere tausend Eisenbahnkilometer sollen gebaut werden. Die Ausgaben für das Bildungswesen wurden von zwei auf acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) massiv gesteigert.

Obwohl das alles im Namen eines "neuen Sozialismus" geschieht, die Ölförderung zurückgeht und die Inflation mit steigender Tendenz bei 15 Prozent liegt, hat das auf Investoren und Händler aus aller Welt magnetische Wirkung.

Seit Chávez bei seinem Wien-Besuch 2006 ein Rahmenabkommen geschlossen hat, ist auch Österreich verstärkt dabei. Heuer könnten die Exporte nach Venezuela erstmals 100 Millionen Euro erreichen, munterte der österreichische Handelsdelegierte in Caracas, Franz Bachleitner, die diese Woche aus Wien angereiste Wirtschaftsdelegation auf (siehe untenstehender Bericht).

Den europäischen Geschäftsleuten bleiben allerdings bei aller demonstrierten Ideologiefreiheit die Risken eines Engagements in Venezuela nicht verborgen.

Ölförderung ging zurück

Im Kampf um die Vormacht in der staatlichen Ölgesellschaft PDVSA, dem größten Unternehmen Lateinamerikas, hat die Regierung zwar gewonnen. Tausende Experten für das schwierig zu verarbeitende, schwere Rohöl Venezuelas haben aber das Land verlassen. Die Förderung ging von den von der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) zugestandenen 3,3 Millionen Fass (zu je 159 Liter) pro Tag auf 2,3 Millionen zurück. Ein in Caracas lebender europäischer Geschäftsmann sieht das Land bereits vor einer Cash-Krise stehen, weil bei weiter wachsenden Staatsausgaben die Einnahmen zurückbleiben. Dies unter anderem auch deswegen, weil Venezuela an arme Länder in Zentralamerika und der Karibik Erdöl zur Hälfte auf niedrig verzinsten, langfristigen Kredit liefert.

Die "Bank des Südens", die zunächst ebenfalls riskante Entwicklungskredite an diese Region vergeben sollte, wird nach einem Einspruch Brasiliens, des größten Teilnehmers an dieser nichtneoliberalen Finanzagentur, auf den südamerikanischen Kontinent beschränkt bleiben.

Starke Töne

Die begleitende Rhetorik von einer "Erhebung" der Lateinamerikaner gegen die Imperialisten des Nordens lässt vom Standard befragte Geschäftsleute fürchten, dass es in Venezuela mit Verstaatlichungen, gar mit der Schaffung von "Kolchosen", weitergehen werde.

Ganz anders klang da Joseph Stiglitz, globalisierungskritischer Wirtschafts-Nobelpreisträger von 2001, der am Mittwoch Chávez besucht hat. Stiglitz, einst Weltbank-Ökonom und Clinton-Berater, sagte nachher vor hunderten Unternehmern und Studenten in Caracas, dass er es grundsätzlich als positiv empfinde, wenn die Öleinahmen der ganzen Bevölkerung zugute kämen und mehr für Gesundheit und Erziehung ausgegeben werde. Probleme wie die Inflation seien beherrschbar, wenn man nachhaltiges Wachstum schaffe, die Öleinnahmen investiere und nicht bloß für den Konsum ausgebe.

Insistierenden Fragen aus dem Publikum, ob der Sozialismus nicht überall auf der Welt gescheitert sei, hielt Stiglitz entgegen, dass Chinas seit Jahren höchst erfolgreiches System von seinen Schöpfern "sozialistische Marktwirtschaft" genannt werde. (Erhard Stackl aus Caracas, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13./14.10.2007)