Unternehmen beschäftigen bei der Aufnahme neuer Mitarbeiter gern „Assessment Centers“, die anhand von Tests, Aufgabenstellungen und anderen Kriterien eine Prognose abgeben sollen, wie gut ein Bewerber in eine Firma passt.

Würde die „Österreich AG“ bei der Beurteilung einwanderungswilliger Menschen ähnlich rational und nicht aus dem Bauchgefühl dumpfer Vorurteile vorgehen, würde ein Assessment ein klares Votum für die Familie Zogaj ergeben, ebenso wie für hunderte ähnlich gelagerte Fälle. Denn diese Bewerber für die Aufnahme in der „Österreich AG“ haben nicht nur in der Theorie, sondern in jahrelanger Praxis ihre Qualifikationen bewiesen.

Und die Republik (und ihre Bürgerinnen und Bürger in Form von NGOs) hat in die intensive Vorbereitung auf dieses Assessment viel Geld investiert: für Unterkunft und Lebenshaltung, für gesundheitliche Versorgung und für Schule und Ausbildung der Kinder.

Nur jetzt, da dieses langfristige Investment endlich erste Dividenden zahlt – der Familienvater als Steuerzahler, die älteste Tochter kurz vor der Lehre – legt diese „Österreich AG“ plötzlich ein völlig irrationales, um nicht zu sagen dummes, Verhalten an den Tag: Sie kündigt und verzichtet darauf, den Ertrag ihrer Aufwendungen zu kassieren. Bisher wird die Debatte um ein Bleiberecht ausschließlich unter humanitären Gesichtspunkten geführt. Es täte aber gut, wenn sie auch unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Eigennutzes geführt wird: Was bringt es dem Land, wenn Zuwanderer bleiben können, die zwar unter falschem Titel (Asyl) ins Land kamen, sich aber in langen Jahren als Arbeitskräfte und Nachbarn integrierten?

Denn es ist vorgeblich der wirtschaftliche Eigennutz, auf den sich restriktive Politik beruft: der Schutz der „hier Lebenden“ vor – ja, wovor eigentlich? Der zusätzlichen Wirtschafts- und Konsumkraft, die Zuwanderer bringen, wie u.a. in Irland zu sehen ist, das auf Übergangszeiten für Arbeitskräfte aus den neuen EU-Ländern verzichtete?

Diese Schutzvorstellung geht von einer falschen Prämisse aus: dass es einen Schatz im Land gebe, der immer kleiner wird, wenn er auf eine größere Zahl von Menschen verteilt wird. Das mag für agrarische Gesellschaften gelten, deren Anbauflächen nicht zu vermehren sind – aber es ist falsch im Hinblick auf Industrie-, Dienstleistungs- und Informationsgesellschaften. Hier mehrt sich der Reichtum mit der Zahl der (dafür ausgebildeten) Bewohner. Mehr Einwohner, höhere Wirtschaftsleistung, höherer Wohlstand.

Der Eigennutz legt nahe, Leute zu behalten, die diese Wirtschaftsleistung stärken, so wie nach 1956 (Ungarn) und 1968 (Prager Frühling). Österreich tut aber seit vielen Jahren das Gegenteil: so zum Beispiel auch nach dem Bosnien-Krieg. Damals wurde eine relativ große Zahl von Flüchtlingen aufgenommen, denen zuerst legale Arbeit über Jahre verweigert wurde, während ihre Kindern hier gute Ausbildungen erhielten – nur um diesen bestqualifizierten Jugendlichen dann den Zugang zum Arbeitsmarkt zu verwehren. Andere, wie Kanada und Australien, haben sie mit Handkuss aufgenommen.

So betrachtet ist „Wirtschaftsflüchtling“ kein Brandmal, als das es gerne gebraucht wird, sondern fast Voraussetzung für Zuwanderung: Denn es belegt die Antriebskraft, warum jemand ins Land kommen will – um seine ökonomische Lage zu verbessern, und damit die der Allgemeinheit dazu.

Zu dieser Debatte sind aber derzeit weder ÖVP noch SPÖ_fähig. Der sich sonst in der Regierung gern als „Wirtschaftspartei“ gerierenden ÖVP sind rechte Stimmen näher als der Vorteil des Landes. Einzig Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl hat, nicht allzu laut, auf den wirtschaftlichen Unsinn dieser Politik verwiesen. Und die SPÖ kann sich dem Thema bestenfalls „aus humanitären Gründen“ nähern, weil sie sich – natürlich nur als „Schutzmaßnahme“ – weiterhin wirtschaftlichem Nationalismus verpflichtet fühlt. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.10.2007)