Frithjof Bergmann: Dezentrale Produktionsmittel Chance gegen Elend in der Welt.

Foto: STANDARD
STANDARD: Gibt es nicht generell eine Sehnsucht hin zu überschaubaren, dezentralen und autonomen Einheiten als Alternative zum "Think Big"? Ich denke dabei z. B. an die Abhängigkeit bei der Energieversorgung.

Bergmann: Das Thema Energie benutze ich gern als Einstieg, um den Leuten die Türe zu diesem Thema einen Spalt zu öffnen. Es gibt tatsächlich diesen Gegentrend, obwohl er gerne verniedlicht wird. Energie ist aber nur ein Thema, denn es gibt beispielsweise auch die Miniaturisierung bzw. den Computer, der uns auf erstaunlich vielfältige Weise unabhängig machen kann. Seither können wir unsere Visitenkarten selbst drucken und Fotos damit ausarbeiten. Wer die richtige Hardware besitzt, kann sich das Sekretariat ersparen und hält die Welt an den Fingerspitzen.

Meine Ansätze gehen aber noch einen Schritt weiter, denn in Afrika ist es technisch möglich geworden, dass sich eine Dorfgemeinschaft selbst Kühlschränke, Generatoren, ja sogar einen Traktor bauen kann. Man braucht nur kleine Werkstätten intelligent miteinander zu verknüpfen und kann Arbeit und Produkte schaffen, worauf die Menschen stolz sein können.

STANDARD: Wie lange glauben Sie, wird es dauern, bis Ihre Vorstellungen realisiert werden?

Bergmann: Ich lebe nicht in einer Traumwelt, darum glaube ich nicht daran, dass ein solches Konzept die jetzige Situation einfach ablösen wird. Wir brauchen aber eine Alternative bzw. eine zweite Ökonomie für die 80 Prozent der Weltbevölkerung, die heute im Elend lebt. Mittlerweile interessieren sich dafür auch Konzerne und Regierungen, weil man erkennt, dass die Spaltung zwischen Arm und Reich immer größer wird. Dies ist nicht nur ein moralisches Problem, sondern birgt auch Gefahren. Eine davon kondensiert sich im Begriff des "Terrorismus".

STANDARD: Knüpft "New Work" in den industrialisierten Ländern nicht auch an das Kennertum der Gegenwart an, wobei es einfach zum guten Geschmack gehört, etwas selbst zu machen und man nicht laufend neue Produkte haben möchte, sondern Angebote, um sich selbst neu zu definieren? Ich denke z. B. an die Popularität des Kochens.

Bergmann: In Berlin war ich bei einer Gruppe, die man als Hightech-Boheme bezeichnen kann. Diese Leute benutzen den Computer gezielt dazu, um einen eigenen und unabhängigen Lebensstil zu kreieren, mit dem sie sich absolut identifizieren können. Man kann in diesem Zusammenhang ruhig von Selbstverwirklichung sprechen, denn es gibt mittlerweile viele Gruppen, denen unsere Kultur auf die Nerven geht.

ZUR PERSON: Frithjof Bergmann ist emeritierter Professor für Philosophie der Universität Michigan. 1944 in Deutschland geboren und in Österreich aufgewachsen, lebt er seit seinem Doktorats-Studium (Princeton) in den USA. 1984 gründete er das "Center for New Work" in Flint, Michigan, um den von einer Kündigungswelle betroffenen General-Motors-Arbeitern zu helfen. (Thomas Duschlbauer, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 15.10.2007)