Wer integriert ist, im Aufenthaltsantrag aber eine Frist versäumt, hat ähnliche Folgen zu tragen wie ein Straftäter, sagen Anwälte. Schuld daran sei das neue "Handbuch" des Innenministeriums.

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Innsbruck/Wien - Werden die Fremdenbehörden in Österreich durch das Handbuch zum Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) angehalten, gesetzwidrig vorzugehen? Die Frage stellt sich, seit das vom Ministerium geheim gehaltene Handbuch Ende letzter Woche öffentlich wurde.

Etwa am Beispiel des 35-jährigen US-Amerikaners Philipp Watt. Der Vater von drei minderjährigen Buben, die alle aus mittlerweile geschiedener Ehe die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, wurde aufgefordert, das Land zu verlassen und von den USA aus wieder einen Erstantrag für eine Niederlassungsbewilligung zu stellen - weil er die Frist für die Verlängerung versäumt hat.

Watt lebt seit elf Jahren in Tirol, ist unbescholten, hat als Programmierer, Nachtportier, Pförtner und Verkäufer gearbeitet und erhält seit kurzem eine Invaliditätspension, weil er seit dem 14. Lebensjahr an beiden Beinen amputiert ist und im Rollstuhl sitzt. Mit seinen Kindern im Alter von sechs, acht und zehn Jahren, die bei der Mutter leben, hält Watt engen Kontakt und zahlt Unterhalt.

Beim Amt für Aufenthaltsangelegenheiten in Innsbruck wird die Ablehnung von Watts Antrag und die Aufforderung zur Ausreise ausschließlich mit dem Fristversäumnis begründet und auf das Handbuch zum NAG verwiesen: "Wir müssen uns an diese Vorschrift halten." Im Handbuch findet sich die entsprechende Anleitung des Innenministeriums an die Fremdenbehörden auf Seite 28 (Ausgabe vom September 2006). Dabei wird festgehalten, dass der Erstantrag "alle rechtlichen Konsequenzen" beinhalte, wie etwa "neuerliche Quotenpflicht" oder "Beendung des rechtmäßigen Aufenthalts". Die Wiener Anwältin Nadja Lorenz hält diese Praxis für "klar menschenrechtswidrig" und meint: "De facto wird hier jemand so behandelt wie jemand, der sich strafrechtlich schuldig gemacht hat."

Watts Anwalt Paul Delazer meint: "Dass ein Fristversäumnis de facto mit einer Straftat im Ausmaß von einem Jahr Freiheitsstrafe gleichgesetzt wird, ist in einem Rechtsstaat undenkbar." Laut Gesetz sei ein weiterer Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn keine Ausweisung und kein Aufenthaltsverbot zulässig seien", so Delazer. Dies sei bei Watt wegen des Rechts auf Familienleben geboten. Das Gesetz ließe Spielräume zu. "Die Fremdenbehörden werden aber durch das Handbuch gehindert, anders zu entscheiden."

Im Innenministerium heißt es dazu lapidar, eine Fristversäumnis habe eben Konsequenzen. Nicht bestritten wird, dass das Handbuch verbindlich sei. "Es ist eine Anleitung, wie die Behörden vorzugehen haben", sagt Sprecher Rudolf Gollia. (Benedikt Sauer/DER STANDARD, Printausgabe, 16.10.2007)