Sieht auch beim ORF Integrations-Handlungsbedarf: Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell.

Foto: STANDARD/ Matthias Cremer
Standard: Herr Hausjell, warum wäre es für die Integration von Einwanderern wichtig, wenn in Zukunft mehr Menschen mit Migrationshintergrund im heimischen Journalismus arbeiten würden?

Hausjell: Weil sich die Einwanderer dann authentischer wahrgenommen fühlen würden und ihre Perspektiven zunehmend Teil des gesellschaftlichen Diskussionsprozesses wären. Ich denke, dass mittelfristig auch über andere Themen berichtet würde.

Standard: Welche zum Beispiel?

Hausjell: Etwa über Altersvorsorge, die Frage, wie man in Österreich Pensionsversicherungsansprüche aus verschiedenen Ländern beziehen kann: Für viele ältere Einwanderer ist das ein akutes Problem. Zudem würden die Leistungen der Migranten, ihrer Vereine und Zusammenschlüsse in den Mittelpunkt der Berichterstattung gerückt. Derzeit wird, wenn es um Einwanderer geht, ja meist über Probleme mit Migration berichtet.

Standard: Was würde diese Zusatzinformation für die Gesamtgesellschaft ändern – etwa in einer Situation wie der aktuellen mit den umstrittenen Abschiebungen?

Hausjell: Es wüssten eben mehr Menschen – nicht nur die Nachbarn in den Gemeinden – Bescheid, welche Einwanderer sich bei Freiwilligen Feuerwehren, und wer sich in Elternvereinen engagiert. Wahrscheinlich hätte die Bewegung gegen die bschiebungen so früher angefangen.

Standard: Das hört sich an, als ob die Einbeziehung von Einwanderern als Journalisten im Endeffekt über die Fremdenpolitik mitentscheiden kann.

Hausjell: Natürlich – und das ist in gewisser Hinsicht subversiv, aber es gehört eben zu der Macht der Medien. Jede Zeitung, jeder Fernsehsender hat die Macht, im Sinn der Integration zu agieren, ihr zu nutzen. Niemand muss warten, bis die Regierung etwas Sinnvolles unternimmt.

Standard: Nun gibt es imösterreichischen Journalismus relativ wenig Mitarbeiter mitMigrationshintergrund. Warum?

Hausjell: Weil die Einbezießehung dieser Mitarbeiter nicht von allein in Gang kommt. Vielmehr braucht es dazu die bewusste Reflexion unter Medienschaffenden. Auch in den USA, wo die Aufnahme schwarzer Mitarbeiter in Medien bewusst gefördert wird, ist nichts von selber passiert.

Standard: Wie kam es zu dem US-amerikanischen Medien- Integrationsmodell?

Hausjell: Als dort 1967 Unruhen zwischen Schwarz und Weiß ausbrachen, setzte die Regierung die so genannte Kerner-Kommission ein. Sie sollte der Frage nachgehen, warum die Gesellschaft von den Rassenunruhen derart überrascht worden war. Die Kommission kam zu dem Schluss, dass in der Berichterstattung bis dahin nur das weiße Amerika vorgekommen war, nicht aber das Leben und die Nöte der Schwarzen. Die Experten empfahlen, dass die Medien in Zukunft ein realitätskonformeres Bild vermitteln sollten. Elf Jahre später beschloss der Verband der amerikanischen Zeitungsredakteure, dass die Redaktionen der Bevölkerungszusammensetzung entsprechend multikulturisiert werden sollten: eine Quotenlösung.

Standard: Würden Sie die österreichischen Medien in Sachen Einwanderung heute als ähnlich blind wie die amerikanischen zur Zeit der Rassenunruhen bezeichnen?

Hausjell: Nicht alle, aber viele. Der überwiegende Teil bildet Probleme und Perspektiven der zugewanderten Bevölkerung nur unzureichend ab. Auch der ORF hat hier Handlungsbedarf.

Standard: Wieso, immerhin hat er "Heimat, fremde Heimat" im Programm?

Hausjell: "Heimat, fremde Heimat" ist eine sehr gute Sendung, war aber unter GI Teddy Podgorsky nur als Anfang konkreter Integrationsbemühungen gedacht. Leider kam dann nichts Neues nach, also blieb die Sendung eine Art Getto: Das Ziel, Mitarbeiter mit Migrationshintergrund zu einem integrativen Teil der Gesamtredaktion zu machen, wurde nicht erreicht. Immerhin zielt aber jetzt der neue GI Alexander Wrabetz darauf ab, Einwanderer als Fernsehpublikum ernster zu nehmen. In den Fernsehmagazinen macht sich das schon bemerkbar. (Irene Brickner/DER STANDARD, Printausgabe, 16.10.2007)