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Ein Gedankenspiel:

Ein Pathologe wird bei einer Operation zu Rate gezogen. Es muss untersucht werden, ob die Gewebeprobe einer 45-jährigen Frau Krebszellen enthält. Der Spezialist sitzt 300 Kilometer entfernt, in einer Universitätsklinik. Er schaltet den hochauflösenden Bildschirm in seinem Labor an, grüßt die Ärzte in ihrer OP-Montur, wartet kurz bis die Gewebeprobe unter das ferngesteuerte Mikroskop gelegt wurde und führt die Untersuchung nach nur wenigen Minuten durch.

Kein Hirngespinst mehr

Und dabei ist die Medizin nur ein Anwendungsbereich, der von der hohen Bandbreite des japanischen Glasfaser-Netzes profitieren könnte und profitieren wird. Während der Westen DSL- und Kabel-Netze ausbaut und sich mit Tariffragen für Anbindungen mit 2, 4, 8 oder 20 Mbit/s Download-Geschwindigkeit auseinandersetzt, streamen japanische Konsumenten bereits hochaufgelöste Filme über die heimischen Leitungen. Oder führen gestochen scharfe Videokonferenzen mit Arbeitskollegen.

Glasfaser-Leitungen verlaufen landesweit in rund 8,8 Millionen Haushalte. Mit durchschnittlich 60 Mbit/s flitzen die Daten durch das Netz – zu den geringsten Kosten weltweit. Als Kontrast dazu: Finnland liegt mit 20 Mbit/s im globalen Vergleich an dritter Stelle. Zweiter ist Südkorea mit 45 Mbit/s. Weit abgeschlagen ist die USA mit etwa 4 Mbit/s auf Rang 15.

Den Grundstein für diese Vormachtstellung legte Japan dabei vor Jahren schon.

Rückblick

In den 1990er Jahren hielt die USA die Stricke fest in der Hand, als die National Science Foundation das Internet zur Kommerzialisierung freigab. 31 Jahre zuvor wurde mit dem ARPANET, einem Projekt des US-Verteidigungsministeriums, der Grundstein gelegt. Universitäten hatte man miteinander verknüpft, Forscher sandten einander erste Emails zu. Die Erfindung des World Wide Web im Genfer CERN machte das Netz schließlich "umgangsfreundlich" und der weltweite Durchbruch sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Heute sind praktisch alle großen IKT-Konzerne in den USA zuhause. Vom weltweit größten Netzwerkausrüster Cisco, dessen Chef John Chambers sich gerne bescheiden aber grinsend Klempner nennt, bis hin zum Suchmaschinenprimus Google, der Datencenter-weise Wissen über die Menschen akkumuliert. Doch der Motor gerät allmählich ins Stocken, schrieb die Washington Post am 29. August 2007. Die Entwicklungen der Zukunft werden nicht mehr hier, sondern im Land der aufgehenden Sonne geschehen.

So grotesk es erscheint, ausgerechnet um den Jahrtausendwechsel herum, während die Welt in Erwartung des Millennium-Desasters den Atem anhielt, legte Japan die wegweisenden Weichen und die USA unterließ die entscheidenden Maßnahmen.

2000 ordnete, im starken Kontrast zur Bush-Administration, die japanische Regulierungsbehörde die großen Telekom-Konzerne an, ihre Leitungen für aufstrebende Internet-Provider zu öffnen. Für wenige - subventionierte - Dollar konnten sich die Unternehmen ins Netz einmieten und so günstige entbündelte Produkte anbieten. Die Folge war eine Breitband-Explosion. Zuerst waren es DSL-Verbindungen, wie wir sie kennen, nun macht der Einsatz von Glasfaser die Kupferkabel obsolet.

Paradigmenwechsel

"Nimmt man die revolutionärste Internettechnologie als Indiz dafür, wer am Besten für die Zukunft gerüstet ist, lautet die Antwort im Moment: Japan", gab der Wirtschafts-Kolumnist Paul Krugman im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin profil erst kürzlich zu bedenken. Dennoch traue er sich den Ausgang der Entwicklung nicht vorherzusagen.

Tatsächlich aber bereitet der Wandel US-Unternehmen starke Kopfschmerzen. "Japans Geschwindigkeitsvorsprung ist Besorgnis erregend, denn er wird Internet-Innovation von den USA wegtreiben", betont Vinton G. Cerf, Vizepräsident bei Google, gegenüber der Washington Post. "Mit der Verfügbarkeit der großen Geschwindigkeit, garantiere ich, werden die Leute auf Möglichkeiten stoßen, an die sie vorher nie gedacht hatten".

Die westlichen Industriestaaten stehen mit dem Rücken zur Wand. Der Weg geht nur nach vorne. Wer künftig mithalten will, wird unweigerlich den Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen vorantreiben müssen, so der Tenor.

Ohne konkrete Initiativen der Staaten und Regulierungen wird es allerdings nicht gehen, so Cerf. "Die Erfahrung der letzten sieben Jahre zeigt, dass man manchmal einen starken staatlichen regulativen Rahmen braucht, um einen konstruktiven Wettbewerb garantieren zu können".

Ausblick

Wie es gehen könnte, veranschaulicht die jüngste Internet-Initiative der Stadt Wien. Die Wien Energie startete vergangenen September mit Blizznet ein offenes Glasfasernetz, in das sich Provider einmieten können, um schnelle Breitband-Anbindungen anbieten zu können. Einer der Vorteile ist die symmetrische Up- und Download-Geschwindigkeit. Mit Produkten bis maximal 20 Mbit/s ist man zurzeit allerdings noch weit von den theoretisch möglichen 100 Mbit/s entfernt.

Doch auch wenn der Grundstein mit derartigen Initiativen in Österreich und einigen anderen reicheren europäischen Ländern gelegt wurde, ist anzuzweifeln, ob wir den Eilzug Japan so rasch werden einholen können. Denn, um das Beispiel Wien nochmal aufzugreifen, bis der Ausbau des Glasfaser-Netzes eine relevante Größe erreicht hat, werden noch Jahre vergehen. Der erste kleine Meilenstein – 50.000 vernetzte Haushalte – soll erst 2009 erreicht werden. (Zsolt Wilhelm)