Thema Nr. 1: Was tun mit gut integrierten Asylwerbern, insbesondere Familien? Diese Debatte betrifft einige tausend Menschen in Österreich, deren Verfahren sich über viele Jahre gezogen haben. Die häufigsten Argumente gegen deren Verbleib: Sie sind selber schuld, haben sich schleppen lassen, ihre Verfahren absichtlich verzögert, böse Anwälte, kurz: Sie haben immer schon gewusst, dass sie nicht bleiben können. Der Grundgedanke dahinter ist interessanterweise mehr als 2000 Jahre alt und stammt aus dem römischen Zivilrecht: Er besagt, dass der Erwerb gewisser Rechte nur "bona fide", in gutem Glauben möglich ist. Auch die Pro-Bleiberechts-Argumente orientieren sich an dieser Idee: Wie sollen sprach- und rechtsunkundige Asylwerber wissen, was für sie geltendes Recht ist, wenn schon wir Österreicher keine Ahnung davon haben? (Fragen Sie mal zehn Akademiker in Ihrer Umgebung, wann ein Asylwerber wirklich bleiben darf, Sie erhalten garantiert zwölf verschiedene Antworten.) Oder: Wie sollen die Kinder dieser Asylwerber das wissen, was können sie, die breiten Dialekt ihrer neuen Heimat sprechen, dafür? Wenigstens für sie sollte doch die Vermutung des "guten Glaubens" gelten. Dass ein Aufenthaltsrecht öffentlicher und nicht ziviler Natur ist und daher die Prinzipien des römischen Rechts in keinem Fall anwendbar sind, übersehen freilich beide Seiten.
Ob und wie viele dieser Menschen bleiben können, ist eine Entscheidung, die, wenn auch unter großen Mühen, im Einzelfall zu treffen wäre und wohl getroffen werden muss. Die tatsächliche Integration dieser Menschen wird wesentlich mit ausschlaggebend sein, und die Kriterien für diese individuelle Form von Bleiberecht wird die Politik in einem hochemotionalen Streit festlegen müssen.
Thema Nr. 2: Was tun mit ca 35.000 offenen Asylverfahren, bei einem System, das gerade mal in der Lage ist, von diesem "Rückstau" pro Jahr 3000 Fälle abzuarbeiten? Diese Frage hat eine andere Zielgruppe: nicht die Asylwerber, sondern einen hoffnungslos überforderten Verwaltungsapparat. Der bräuchte allein mehrere hundert qualifizierte Juristen zusätzlich, um diesen Berg in ein bis zwei Jahren zu bewältigen. Das gibt der Arbeitsmarkt kaum her, vom Finanzminister ganz zu schweigen. Mit den derzeitigen Ressourcen bräuchte man aber bis zu zehn Jahre, um diesen Aktenberg abzubauen. Wer diese Sisyphosarbeit leistet, ein UBAS oder ein „Asylgerichtshof“, ändert bei gleichbleibenden Ressourcen gar nichts. Nach einem Jahrzehnt gäbe es in jedem Fall viele tausend neue tragische Einzelfälle.
Die Grenzen ...
Dieses Problem kann nur rein pragmatisch gelöst werden: Entweder man vervielfacht (!) die Zahl der bisher eingesetzten Beamten, zumindest auf Zeit. Oder man nimmt in etwa die Hälfte der momentanen Asylwerber aus dem Asylverfahren heraus und räumt ihnen ein Recht auf Aufenthalt und Zugang zum Arbeitsmarkt ein. Das hat in der Vergangenheit in Österreich (Stichwort Bosnier) und auch in Europa (zuletzt in den Niederlanden) geklappt.
Diese Form von Bleiberecht müsste ohne Einzelfallprüfung abgewickelt werden. Genau die schafft die Verwaltung ja jetzt schon nicht, und die Feststellung von persönlicher Integration dürfte nicht viel weniger aufwändig sein als Asylverfahren. Im Interesse einer echten Verwaltungsentlastung dürften die einzigen Kriterien nur eine (wohl leere) Strafregisterauskunft und die Verfahrensdauer sein. Letztere müsste bei maximal (!) drei Jahren liegen, weil sonst zu wenige Verfahren ad acta gelegt werden könnten.
Hilft es, stattdessen Berufungen weiter zu erschweren? Nein, weil die ja schon längst erhoben sind und von irgendwem abgearbeitet werden müssen. Wäre das eine einmalige Aktion? Ja, wenn die Asylwerberzahlen weiter so niedrig bleiben wie bisher, und das ist wegen unserer neuen EU-Nachbarn (Stichwort Schengen) gar nicht unwahrscheinlich. Die neu gestellten Anträge bewältigt das derzeitige System nämlich in vernünftiger Zeit.
... der "Entlastung"
"Vernünftig" hieße allerdings immer noch 12 bis 24 Monate, denn: Rechtsstaatliche Verfahren dauern, vor allem dort, wo – wie in Asylverfahren – häufig Sachverhalte im Ausland ermittelt werden müssen. Da braucht es Sachverständige, Dolmetscher, Botschaftsanfragen schon im Verfahren erster Instanz. Prozesse mit so hohem Auslandsbezug bewältigt auch die besser ausgestattete Justiz nicht in kürzerer Zeit. Schnellere Verfahren wären zwar theoretisch auch erreichbar, indem man die Rechte von Antragstellern noch weiter einschränkt oder im Asylverfahren die Höchstgerichte gänzlich ausschaltet. Wer das will, sollte allerdings auch klar sagen, dass er im Bereich "Asyl" die Instrumente eines mitteleuropäischen Rechtsstaates, wie sie in Österreich Gott sei Dank für alle Menschen selbstverständlich sind, teilweise sistieren will. Realistisch betrachtet setzen hiefür aber sowohl das Europarecht als auch die österreichische Verfassung enge Grenzen.