Frigga Haug, Jahrgang 1937, sieht eine "passive Revolution" in Bezug auf alte Frauenforderungen.
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"Was tun, wenn der neue Feminismus neoliberal ist?" Unter diesem Titel referierte vergangene Woche die deutsche Soziologin und Frauenrechtlerin Frigga Haug auf Einladung der Grünen Bildungswerkstätte in Kooperation mit "AUF – Eine Frauenzeitschrift" in Wien. Haug zeichnete darin auf markante Weise das Verhältnis von Neoliberalismus und Feminismus nach, ließ die Frage nach dem "Was tun" jedoch weitgehend offen.

Passive Revolution von oben

Die Grundthese Haugs lautet, dass wesentliche Ideen der zweiten Frauenbewegung in das neoliberale Gesellschaftskonzept integriert wurden und somit zu einer "passiven Revolution" verschmolzen. Konkret handelt es sich dabei um die Bereiche Familie und Arbeit, die Feministinnen der 1970er als "Kampffelder" definierten. Die Familie wurde als Ort dekonstruiert, der Frauen von einem selbstbestimmten, unabhängigen Leben fernhält, aber auch das sozialstaatliche Modell des "Familienernährers" bedingt. Am Begriff der Arbeit kritisierten Feministinnen, dass er die von Frauen unbezahlt geleistete Reproduktionsarbeit nicht berücksichtigte.

Für die sozialistische Frauenrechtlerin hat der Neoliberalismus beide "Wünsche" erfüllt: Der Familienernährer wurde gestürzt, was sich darin ausdrückt, dass heute Männer wie Frauen flexibel und frei auf einem globalen Arbeitsmarkt agieren müssen. Gleichzeitig ist auch eine Neudefinition und -aufteilung von Arbeit im Gange, was sich beispielsweise durch die Diskussion über das Grundeinkommen, die Bezahlung von Reproduktionsarbeit oder die Beschränkung der Berufstätigkeit auf 20 Stunden ausdrückt.

Naheverhältnis von Feminismus und Neoliberalismus

Das relativ nahe Verhältnis von Feminismus und Neoliberalismus erklärte Haug aus der "zeitgeistigen" Entstehungsgeschichte der zweiten Frauenbewegung: Diese trat just in dem Moment auf, als das fordistische Produktionsmodell in westlichen Industrienationen bereits seinen Zenit überschritten hatte. Zentrale Reklamationen von Feministinnen bezogen sich aber auf die weibliche Pendant des fordistischen Arbeiters – des Familienernährers, der zur vollen Ausschöpfbarkeit seiner Arbeitsleistung eine eigene Hausfrau benötigte. Somit konnte der Feminismus mit ungebetener Unterstützung rechnen.

Frauenaktivistinnen stehen heute vor der entmutigenden Erkenntnis, dass ein mehr an Frauenrechten nicht zwangsläufig zu mehr sozialer Gleichheit führt. Im Gegenteil: Die ökonomische Situation vieler Frauen hat sich in den letzten Jahren verschlechtert, sie leiden unter Prekarisierung, Verarmung und Doppelbelastung durch Beruf und Familie. Auf globaler Ebene wird das Auseinanderklaffen von Arm und Reich immer offensichtlicher.

Selbstverschuldung

Als eine negative Konsequenz auch im Hinblick auf eine neue Politisierung ortete Haug, dass Frauen sich zunehmend selbst die Schuld an ihrer misslichen Lage geben. Die passende Ideologie sei der aus den USA stammende "Third Wave"-Feminismus, der Frauen suggeriere, sie könnten alles erreichen, wenn sie nur wollen.

In Deutschland sieht die Soziologin die Feminismus-Debatte in bürgerlichen Medien von einer "Schwarzen Konjunktur" betroffen. Als deren Hauptbotschaften, die sie anhand von Beiträgen aus der FAZ, Zeit, Spiegel, usw. analysiert hat, präsentierte Haug zwei widersprüchliche Aspekte: "Die Frauen haben die Macht übernommen" sowie "Der Feminismus hat abgewirtschaftet".

Das politische Ziel dahinter sei, einem Feminismus sozialistischer Prägung, der eine bessere Welt für alle für möglich hält und fordert, endgültig auszulöschen. Als Teilstrategien für dieses Ziel könne die Einführung eines elitären Feminismus, der die Karriere einiger weniger Frauen erklärt, sowie die mediale Reduktion von Alice Schwarzer als Repräsentantin des deutschen Feminismus gesehen werden.

Toter Feminismus?

Als zentrale Botschaft ihres Vortrags mahnte Haug ein, dass die zweite Frauenbewegung nicht zum Ziel hatte, für Frauen das Erste Klasse Ticket in der untergehenden Titanic zu ergattern, sondern eine bessere Welt für alle zu schaffen.

Man könnte es symptomatisch werten, dass der Vortrag auf die brennende Frage nach dem "Was tun?" kaum Antworten geben konnte. Haug schlug in aller Kürze vor, Netzwerke und Kollektive zu bilden, ein Ansatz, der ja gerade in der zweiten, offenbar ausgehöhlten Frauenbewegung zentral war. Treffender und vielleicht auch aufrüttelnder hätte Haug ihren Vortrag "Was tun, wenn der Feminismus tot ist?" nennen können. (Ina Freudenschuß, die Standard.at, 18.10.2007)