Russland: Fast ein Viertel aller Fälle
Aber natürlich ist die Zahl geradezu winzig, verglichen mit den Klags- und Verurteilungsraten anderer europäischer Länder: 2006 ergingen zum Beispiel 312 Urteile gegen die Türkei, in denen zumindest eine Konventionsverletzung festgestellt wurde. In der Langzeitwertung „führt“ Russland weit vor allen anderen Ländern: Nämlich mit rund 23 Prozent der „pending cases“ – also fast 25.000 anhängigen Fällen. Viele davon betreffen das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf Freiheit und Sicherheit und das Recht auf Schutz des Eigentums. Danach folgen Rumänien mit 12.300 Verfahren, die Türkei mit fast zehntausend und die Ukraine mit 8.800.
Vor allem nach Artikel 10 EMRK (Meinungsfreiheit) und Artikel 6 (Faires Verfahren) wird hingegen Österreich immer wieder verurteilt. Immer mehr müssen sich auch die nationalen Gerichte mit der Frage befassen: Was ist grundrechtskonform? Ist ein Gesetz grundrechtswidrig? Besteht Handlungsbedarf? Damit sind die Richter gefordert, neben dem österreichischen auch das internationale Recht im Blick zu behalten – eine Herausforderung, aus deren Anlass die Präsidentin des OGH, Irmgard Griss, zu einer Fortbildungsveranstaltung in den Justizpalast lud. „Grundrechte sind ein richtiges Modethema, könnte man meinen“, schmunzelte Griss. Tatsächlich seien die Gerichte aber seit Jahren Experten auf dem Gebiet: „Sie haben sich daran gewöhnt, in sensiblen Bereichen immer die Grundrechte im Blickwinkel zu haben“, ist die OGH-Präsidentin überzeugt.
Signale aus Strassburg werden umgesetzt
„Die hohe Verurteilungsrate in Strassburg ist ein Gerücht“, konterte hingegen OGH-Richter Georg Kodek die immer wiederkehrenden Warnungen seiner Kollegen. Es gebe zwar im Detail der täglichen Rechtsanwendung in Österreich „Verfeinerungs- und Verbesserungsmöglichkeiten“, aber kein „strukturelles Defizit“. Vielmehr bemühe man sich, die „Signale aus Strassburg“ im Menschenrechtsbereich umzusetzen.