Transportmittel und Prestigeobjekt. Eine Wiener Ausstellung beschäftigt sich mit der Geschichte des Kinderwagens.

Foto: Wien Museum
Hosenmätzen geht es an der Windel vorbei, wenn sich ihre trendorientierte Elternschaft im dubiosen Prestige suhlt, das ein Kinderwagenmodell beim Stadtbummel einfahren kann. Bevor sie sich suhlt, muss sie allerdings ordentlich was ablegen. Die Baby-Kutsche der Marke Bugaboo zum Beispiel, längst zum "Must have" avanciert, gibt's kaum unter 800 Euro - für ein Modell von der Stange, wohlgemerkt.

Auch der Besuch der Ausstellung "Baby an Bord - Mit dem Kinderwagen durch das 20. Jahrhundert" im Wien Museum Karlsplatz lässt flugs klar werden: Kinderwagen, Buggy & Co waren immer auch ein Objekt des Lifestyles. Dies gilt für die ersten handgefertigten "Luxuskarossen", mit denen in Wien um 1870 vermehrt in den Parks promeniert wurde, ebenso wie für die heute erhältliche Flut an gestylten Wägen der Marken Bugaboo, MacLaren, Hauck, Peg Perego, Stokke oder unter welchem Namen auch immer sie in der Samstagmittag-Bobo-Runde parken. Die kalifornische Tuningwerkstatt Kid Kustoms setzt den allen noch eins drauf und offeriert eine Art "pimp my Kinderwagen": in Form von völlig abgefahrenen Vehikeln mit Bezügen von Kroko bis Alcantara im Wagenstyling à la Hot-Rod-Vehikel samt eingebautem DVD-Player.

"Wer schiebt?" oder "Wer kauft?"

Auch die Historikerin Lisa Rettl und die Künstlerin Uli Vonbank-Schedler aus dem dreiköpfigen Kuratorenteam der Schau am Karlsplatz sehen den Prestige-Gedanken als eine große Konstante in der Geschichte des Kinderwagens.

Die Ausstellung stellt weiters die Fragen: "Wer schiebt?" oder "Wer kauft?". Sie untersucht die formale Wandlung vom Leiterwagerl zum Straßenkreuzer, berichtet vom Wandel der städtischen Infrastruktur, sich ändernden Geschlechterrollen und dem Siegeszug der Konsumkultur.

Dass der Kinderwagen im Vergleich zu anderen naheliegenden Alltagshilfen erst sehr spät auftauchte, begründet die Historikerin Rettl unter anderem mit dem neuen Stellenwert der Kindheit im 19. Jahrhundert und gesellschaftlichen Abgrenzungsmechanismen durch das aufstrebende Bürgertum. Auch medizinische Belange dürften letztendlich für das Durchstarten des Kinderwagens ausschlaggebend gewesen sein, so sollte durch die Aktion "Licht, Luft und Sonne" der hohen Säuglingssterblichkeit entgegengewirkt werden. Neu geschaffene Parkanlagen und fesche Kinderwagenmodelle auf der Wiener Weltausstellung 1873 haben zumindest hierzulande den Rest zur großen Schiebung beigetragen.

VW Touareg der Kinderwagenwelt

Apropos trendy: Uli Vonbank-Schedler sieht, was die heutige Form der Chaise betrifft, drei markante Stile: Auf der einen Seite den citytauglichen, leichten, wandelbaren und wendigen Flitzer, den mit Stollenreifen ausgerüsteten, groben Off-Road-Cruiser, sozusagen der VW Touareg der Kinderwagenwelt. Und schließlich den Trend zum nostalgischen Promenadenwagen, also zur platzfressenden Kutsche mit Speichenrädern, die einst auch gerne "Ehestandslokomotive" genannt wurde.

Die Ausstellung informiert über die produktionstechnische Revolution, die das Metallpressverfahren in die Fertigung dieser "Blechbüchsen auf Rädern" brachte, zeigt tiefliegende Art déco-Wägelchen, hölzerne Babykutschen à la "40 Kinderwagen westwärts" und stromlinienförmige Babyflitzer wie aus Raymond Loewys Designerfeder.

"Perambulator" - "Jogger"

Zur Ausstellung, für deren Architektur propeller z verantwortlich zeichnet, erschien ein umfangreicher Katalog. Der geht auf gut 190 Seiten unter anderem auf die Pläne für den "Deutschen Einheitskinderwagen" ein, eine Art Volkskinderwagen der Nazis. Er untersucht die steigenden Mobilitätsbedürfnisse der Gesellschaft und widmet sich dem Kinderwagen als Transportmittel für Hamsterfahrten oder den Abtransport von Schutt. Eine besonders blutige Rolle spielte ein Kinderwagen übrigens am 5. September 1977, als Mitglieder der RAF Waffen aus einem blauen Kinderwagen hervorholten und auf den Wagenkonvoi von Hanns-Martin Schleyer schossen.

Rat in Sachen Kaufentscheidung dürfte die Schau wenig bieten, da muss man sich nach wie vor durch die Parkreihen der Babyabteilungen in Kaufhäusern schlängeln. Wer dort den Insider mimen will, kann nun mit dem Wissen brillieren, dass die Briten den Kinderwagen zu Beginn "Perambulator" nannten und die dreirädrige Ausführung - heute "Jogger" genannt - bereits 1840 erfanden. Dies deshalb, weil es vierrädrigen Vehikeln verboten war, auf dem Trottoir geschoben zu werden. Andere Saiten zogen in Sachen "Kinderfahrstuhl" übrigens auch die deutschen Zuständigen für den geregelten Kinderwagenverkehr auf. Dort trugen die Babytransporter einst sogar Nummerntafeln. (Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/19/10/2007)