Die Gutachter halten einen solchen Schritt wegen des zunehmenden Preisdrucks für gerechtfertigt. Die mittelfristigen Inflationserwartungen lägen mit zwei Prozent erstmals nicht mehr im Zielbereich der EZB. Diese sieht Preisstabilität nur bei Teuerungsraten von knapp unter zwei Prozent gewährleistet. Auch die noch immer kräftig wachsende Geldmenge lasse steigenden Preisdruck erwarten und rechtfertige höhere Zinsen. Eine Zinssenkung halten die Experten trotz der Verwerfungen an den Finanzmärkten derzeit nicht für erforderlich.
Eurokurs soll weiter steigen
Für ein Abwarten der EZB spricht den Instituten zufolge die Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Fed. Diese werde wegen des schwächelnden Immobilienmarktes ihren Leitzins bis zum Frühjahr von derzeit 4,75 auf 4,25 Prozent zurücknehmen. Dadurch werde der Eurokurs weiter steigen und den Preisdruck mindern. Ein starker Euro verbilligt die Einfuhr von Rohstoffen wie Rohöl, die traditionell in Dollar abgerechnet werden.
Seit Ende 2005 hat die EZB ihren Leitzins stufenweise von zwei auf vier Prozent verdoppelt, um den Preisauftrieb während des Aufschwungs in Schach zu halten. Wegen der Turbulenzen an den Finanzmärkten hatten die Währungshüter zuletzt von weiteren Zinserhöhungen abgesehen.
Institute warnen vor Reformpause
Die Experten warnen die deutsche Bundesregierung zudem vor einer Reformpause. Die Politik dürfe sich von der guten Konjunktur nicht zu dem Schluss verleiten lassen, sie habe genug für die Förderung des Wachstums getan. In ihrem am Donnerstag veröffentlichten Herbstgutachten erwarten die Experten ein etwas schwächeres Wachstum im kommenden Jahr. Größtes Konjunkturrisiko sei die Finanzkrise, die vor allem in den USA bremsen werde. Allerdings kann sich die deutsche Wirtschaft zunehmend auf die eigenen Beine stellen.
Bisher hatten die Institute für dieses und das kommende Jahr jeweils 2,4 Prozent vorhergesagt. Für 2007 sind sie nun mit 2,6 Prozent etwas optimistischer, für 2008 mit 2,2 Prozent ein wenig pessimistischer. Zuversichtlich sind sie für die Entwicklung am Arbeitsmarkt: Die Arbeitslosenquote werde von 8,7 Prozent in diesem auf 7,9 Prozent im kommenden Jahr sinken, die Arbeitslosenzahl werde 2008 knapp unter 3,5 Millionen liegen. Zudem werde der Staatshaushalt erstmals seit Jahrzehnten 2007 wieder einen leichten Überschuss aufweisen.
Die guten Nachrichten sollten die Politik nicht über die Notwendigkeit zu weiteren Reformen hinwegtäuschen, warnen die sieben an dem Gutachten beteiligten Forschungseinrichtungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Kritik üben sie vor allem an der Arbeitsmarktpolitik. Hier gingen die Reformen nicht vorwärts, obwohl die strukturelle Arbeitslosigkeit noch immer hoch sei. "Vielmehr wird derzeit über ein Zurückdrehen bei den bisherigen Reformen diskutiert", schrieben sie mit Blick auf die Diskussion über Veränderungen an der Agenda 2010 der rot-grünen Vorgängerregierung. Eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I - die SPD und Union erwägen - lehnen sie ab, ebenso eine stärkere Reglementierung der Zeitarbeit. Zudem sprechen sie sich gegen Mindestlöhne aus, die in immer mehr Branchen vereinbart werden.
"Robuste Verfassung"
Kritisch sehen die Ökonomen auch den gegenwärtigen Trend weg von der moderaten Lohnentwicklung der vergangenen Jahre. Würden wieder höhere Lohnzuwächse vereinbart, dürfte dies den Aufbau von neuer Beschäftigung gefährden. Insgesamt müsse die Politik auch künftig in allen Bereichen dazu beitragen, den mittel- bis langfristigen Wachstumspfad der Wirtschaft zu verbessern.