Lissabon - Bundeskanzler Alfred Gusenbauer rechnet mit einer raschen Einigung der Staats- und Regierungschef auf den neuen Reformvertrag beim EU-Gipfel in Lissabon. "Ich bin optimistisch, dass es heute zu einem Abschluss des Reformvertrages kommt", sagte Gusenbauer vor Beginn des Gipfeltreffens am Donnerstag in Lissabon.

Anzahl der Abgeordneten

Zum Widerstand Italiens gegen eine Reduktion der italienischen Mandate im Europaparlament sagte der Kanzler, Österreich sei mit dem "gut balancierten Vorschlag" des Europaparlaments sehr zufrieden. Dieser sieht im Falle Österreichs vor, dass die Zahl der Abgeordneten von derzeit 18 auf 19 ansteigen würde. Das italienische Argument, für die Sitzverteilung anstelle der Wohnbevölkerung eines Landes die Staatsbürger zu nehmen, sei allerdings "nachvollziehbar". Es gehe aber nicht um einen "Kuhhandel", sondern um ein "vernünftiges Verfahren". "Man muss bei der Entscheidung des Parlaments bleiben und daneben einen Mechanismus finden, welche Art der Zählweise zu Grunde gelegt werden soll."

Streit mit Polen "lösbar"

Der Streit mit Polen um die Verankerung der aufschiebenden Blockademöglichkeit bei EU-Mehrheitsbeschlüssen ("Ioannina-Klausel") sei "lösbar", sagte Gusenbauer. Aussagen des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, der vor seinem Abflug nach Lissabon mit weiteren Verzögerungen beim EU-Vertrag gedroht hatte, sieht der Bundeskanzler "in Blickrichtung der kommenden Wahlen" in Polen am Sonntag.

Gusenbauer bekräftigte, dass er die Frage des Uni-Zugangs noch einmal beim Gipfel ansprechen werde. Es sei "gut und richtig, dass der Europäische Rat darüber informiert wird, wie wir gemeinsam mit der Kommission gedenken, das Problem zu lösen", sagte Gusenbauer. "Dadurch wird der gesamte Vorgang politisch eine stärkere Autorisierung haben." Er gehe davon aus, "dass nicht nur ich davon berichten werde, sondern auch der Präsident der Kommission das bestätigen wird".

Keine Volksabstimmung

Gusenbauer lehnt Forderungen, den neuen Reformvertrag einer Volksabstimmung zu unterziehen, ab. Der neue Vertrag, der beim Gipfel abgesegnet werden soll, sollte so wie alle anderen EU-Verträge vom Parlament ratifiziert werden, sagte Gusenbauer. Die Konsequenzen eines neuerlichen Scheiterns der Ratifizierung "will ich mir gar nicht ausmalen", sagte der Kanzler.

Der Reformvertrag sei "ein ganz normaler Vertrag in der Europäischen Union" und Österreich habe alle anderen Verträge auch keiner Abstimmung unterzogen, unterstrich Gusenbauer. Gerechtfertigt wäre dies aus seiner Sicht, "wenn sich Europa wirklich eine Verfassung gegeben hätte", allerdings hätte es dann ein gesamteuropäisches Referendum geben müssen. Die Entscheidung, wie in Österreich ratifiziert wird sei aber die Entscheidung des Parlaments. "Wenn das Parlament eine Volksabstimmung beschließt, findet sie statt", so der Bundeskanzler.

"Steigende Skepsis der Bürger"

Gusenbauer verwies auf die derzeit enorme EU-Skepsis, die es sehr leicht mache, gegen Europa Stimmung zu machen und die notwendige differenzierte Diskussion verhindere. "Die Forderung nach einer Volksabstimmung ist nicht der Wunsch über etwas Konkretes abzustimmen, sondern Ausdruck der steigenden Skepsis der Bürger über die Handlungsfähigkeit der EU", sagte Gusenbauer. Daran sei nicht zuletzt der Stillstand durch die Verfassungskrise und der Eindruck, "dass jeder Gipfel ein Baustellenbesuch ist".

Als Bundeskanzler übernehme er bei diesem Gipfel die Verantwortung, dass der Vertrag auch ratifiziert werde, so Gusenbauer. Das Gleiche erwarte er von seinen Kollegen. "Wenn wir das jetzt nicht sichern, besteht die Gefahr, dass die Europäische Union hinter den Integrationsstand von (dem derzeitigen EU-Vertrag von, Anm.) Nizza zurückfällt", sagte der Kanzler. Sollte die Ratifzierung des neuen EU-Vertrages so wie die Verfassung scheitern, "hätte es keinen Sinn so weiterzumachen, wie bisher. (APA)