Wladimir Galuzin als grandioser Gestalter der Titelpartie in einer Gastaufführung von Prokofjews Oper "Der Spieler" durch das Mariinsky-Theater.

Foto: Theater an der Wien

Es folgt Tschaikowskys "Eugen Onegin".

Wien – Es mag wie eine Ironie des Schicksals scheinen, dass Sergej Prokofjew am selben Tag (5. März 1953) gestorben ist wie Josef Stalin, der als Urheber seiner zahllosen ideologischen Peinigungen gelten kann, die der Komponist durch das Sowjetregime er fahren musste.

Als letzten Streich, den Stalin ihm – wenn diesfalls auch unfreiwillig – spielte, mag die Tatsache gelten, dass sämtliche Blumen aus Moskaus Geschäften für das Begräbnis des Machthabers gebraucht wurden und für Prokofjew, dessen Tod in der allgemeinen Staatstrauer gänzlich unterging, nicht einmal ein Grabschmuck beschafft werden konnte.

Schon 1916, als Prokofjew die Komposition seiner Dostojewski-Oper Der Spieler abschloss, war an eine Aufführung in Russland nicht mehr zu denken. 13 Jahre sollte es dauern, bis das Werk nach einer völligen Neubearbeitung im Brüsseler Theater La Monnaie zur erfolgreichen Uraufführung gelangte. Und auch im Theater an der Wien hat dieser Spieler anlässlich eines Gastspiels des St. Petersburger Mariinsky-Theaters seine Wirkung nicht verfehlt.

Und das will bei einer Aufführung in russischer Sprache (die Uraufführung erfolgte übrigens auf Französisch) etwas heißen. Denn das Werk befleißigt sich eines, wie Prokofjew ihn nennt, "Deklamationsstils", aus dem jede Kantilene, jeder Anklang an russische Volksmusik strikt ausgeschlossen sind.

Prokofjews Bestreben ist es, den zu geradezu aphoristischer Kürze verknappten Text des Dostojewski-Romans durch Aufbietung aller möglichen musikalischen Mittel bis aufs Äußerste zu schärfen.

So wird das Werk zu einer szenischen Klangstudie nicht einer, sondern vieler Leidenschaften. Alexejs Spielglück, das ihm durch das 20-malige Erscheinen der Farbe Rot beschieden ist und letztlich doch nur zum Verhängnis wird, ist bloß ein Teil des Mosaiks der Begierden, die Prokofjew kaleidoskopisch in Klang verwandelt.

Hoher Intensitätsgrad

Bei derlei Unternehmungen, vor allem, wenn sie in einer dem Publikum nicht geläufigen Sprache erfolgen, kommt es einzig und allein auf deren Intensität an.

Und für ein Gastspiel, das vor allem, wenn es sich um eine Oper handelt, hat dieser Abend einen außerordentlich hohen Grad an gesamkünstlerischer Faszinationskraft.

Beginnen wir mit Valery Gergiev, der in unseren Breiten nur allzu gerne mit aristokratischem Naserümpfen als Dirigent abgetan wird, der das musikdramatische Dezibel volumen nur allzu gerne auf Disco-Lautstärke aufzuheizen bereit ist. Für Prokofjews Spieler war Gergiev, seit 1996 Generaldirektor des Mariinsky-Theaters, der ideale Mann. Vor allem das Orchester hatte jene grelle, die Vorgänge akustisch überbelichtende Schlagkraft, mit der Prokofjew seine Gestalten und die sich zwischen ihnen ergebenden spannungsvollen Beziehungen drastisch skizzierte.

Vor allem Wladimir Galuzin in der Partie des Alexej, den die Spielleidenschaft für einige glückliche Augenblicke aus seiner elenden Existenz reißt, erweist sich als grandioser Sängerdarsteller, den man versteht, auch wenn man seine Sprache nicht versteht.

Poetische Momente

Hier, in dieser Einheit von Wortklang und Gestik, vollzieht sich elementares Musiktheater. Es sind poetische Momente, die nicht allein von einem Einzelnen bewirkt werden können, sondern die nur im Team möglich sind.

So zählt auch Ljubow Sokolowas Rollstuhl fahrende Babulenka, auf deren mit einer satten Erbschaft verbundenes Ableben alle warten und die jedoch ihr ganzes Vermögen im Kasino verliert, zu dieser poetischen Mannschaft ebenso wie Natalja Tymchenko als ihren Hauslehrer Alexej tyrannisierende Generalstochter Polina.

Auch der General, Sergej Alexaschkin, ist ein Darsteller, dem man nur nebenbei als prachtvollen Bass erkennt, so dicht und gleichzeitig so unauffällig ist die Inszenierung von Temur Tscheidze. So wie in der Musik keine Note zu viel ist, so geschieht auch auf der von Zinovy Margolin zu einem Einheitsbild gestalteten Bühne keine überflüssige Bewegung. So klinken Musik und Szene bestens ineinander – mit Ausnahme des Programmcovers, auf dem bei einer Oper, die das Roulettespiel zum Inhalt hat, ausgerechnet ein Herzass prangt. Was das Publikum nicht davon abhielt, herzlich zu applaudieren. (Peter Vujica / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.10.2007)