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Die Angst vor einem Krieg wächst in den nordirakischen Kurdengebieten. Junge Kämpfer der kurdischen PKK marschieren in der Nähe der Grenze zur Türkei.

Foto: AP/Yahya Ahmed
Die PKK bereitet sich auf einen Krieg vor. Die Zivilisten verlassen ihre Dörfer. Die USA freuen sich über einen neuen Verbündeten. Ein Lokalaugenschein in der nordirakischen Grenzregion.

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Ali verliert die Kontrolle über das Steuer. Der weiße Jeep kommt ins Schleudern und rast rückwärts die Böschung hinunter, überschlägt sich einmal und bleibt schließlich mit dem rechten Vorderreifen in der Luft auf einer schmalen Steinmauer hängen. Die Kandil-Berge am östlichen Rande der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak sind bis zu 3000 Meter hoch. In Serpentinen schlängeln sich die schmalen Straßen in die Höhen.

Die angemessene Fahrgeschwindigkeit kann leicht überschätzt werden. „Wir sind hier fünf Stunden von der iranischen Grenze entfernt“, gibt Hamsa als Ortsbestimmung an. „Fußmarsch, wohlgemerkt!“ Was die kurdische Regionalregierung in Erbil nicht zugeben will, steht vor uns: Hamsa ist ein Kämpfer der PKK, der 1978 in der Türkei gegründeten Arbeiterpartei Kurdistans. Er und Tausende andere Guerillakämpfer operieren auf irakischem Territorium.

Der kleine Mann mit den pechschwarzen Haaren bittet in die am Hang liegende Wachstation und befiehlt seinen Untergebenen, den Jeep wieder zurück auf die Straße zu ziehen. Letzte Woche habe es heftige Kämpfe gegeben, erzählt er. Die Türken hätten aus der Luft angegriffen, die Iraner mit Mörsergranaten. „Wenn wir nicht hier wären, würden die einmarschieren und alles besetzen“, sagt Hamsa.

Unabhängiges Kurdistan

Erst am Mittwoch hat das türkische Parlament die Regierung dazu ermächtigt, Militäroperationen im Nordirak anzuordnen. Die Amerikaner seien nicht willens, der Terrororganisation PKK Einhalt zu gebieten, heißt es in Ankara. Deshalb müsse man die Sache jetzt selbst in die Hände nehmen. Seit den 90er-Jahren haben sich die PKK-Kämpfer in den kurdischen Bergen im Nordirak verschanzt.

Mittlerweile ist die von Abdullah Öcalan, der in der Türkei in lebenslanger Haft einsitzt, gegründete Organisation zur bedeutendsten kurdischen Widerstandspartei herangewachsen. Sie wird nicht nur von Kurden in der Türkei, sondern auch von Kurden in den Nachbarstaaten einschließlich den weltweit verstreuten kurdischen Emigranten unterstützt. Ihr Ziel ist ein unabhängiges Kurdistan. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt die PKK auch militärische Gewalt ein, zeichnet für Bombenanschläge in der Türkei verantwortlich, leistet sich heftige Gefechte mit der türkischen und iranischen Armee.

Auf dem Weg zu einem der Kommandanten der PKK erzählt ein iranische Kurde, dass er der PJAK angehöre, der „Partei für freies Leben in Kurdistan“, die gegen das iranische Regime kämpft. Offiziell heißt es, PKK und PJAK hätten nichts miteinander zu tun. Dies verkündete der PJAK-Chef, Rahman Haj Ahmadi, bei seinem Besuch in Washington im August und warb um Unterstützung. Sie hätten bereits moderne Waffen bekommen, erzählt der Kurde.

Doch weil die Türkei den USA vorwirft, die Guerilla zu unterstützen, müssten die neuen M16 erst einmal im Schrank bleiben. Die PKK gilt in den USA als Terrorgruppe. Die Unterstützung der PJAK indessen passt vortrefflich in die Konfrontation zwischen den USA und dem Iran. Die beiden Organisationen auseinanderzuhalten, wird aber nicht gelingen. Ihre Verzahnung im Nordirak ist offensichtlich.

Schauplatzwechsel. Kameran überlegt, ob auch er sein Hab und Gut zusammenpackt und mit seiner Familie von hier wegzieht. Vermehrt sieht man dieser Tage Menschen in vollbepackten Jeeps aus den kurdischen Bergdörfern wegfahren. „Zuerst der Krieg gegen Iran in den 1980er-Jahren, dann Saddams Rachefeldzug gegen uns mit den Giftgasangriffen und nun das.“ Kameran ist am Ende.

Seit Tagen erhellen abends Leuchtkugeln den Himmel über den Kandil-Bergen. Was folgt, sind Raketen und Bomben. „Wir haben Angst vor einem neuen Krieg“, sagt Kameran. Bislang sind die kurdischen Autonomiegebiete von dem Terror, wie er im Zentralirak herrscht, weitgehend verschont geblieben. Das könnte sich jetzt aber ändern. Kameran sieht die PKK und PJAK als Teil des Problems. „Wenn die nicht angreifen würden, hätten auch Iran und die Türkei keinen Grund, uns zu bombardieren“. Sein Sohn ist anderer Meinung. „Es ist gut, dass die hier sind“, sagt Shirwan, „weil sonst andere Terroristen ins Land kämen – islamistische Gotteskrieger.“ (Birgit Svensson aus Erbil, DER STANDARD, Printausgabe, 19.10.2007)