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Am kommenden Sonntag ist in Polen Wahltag.

Foto: Reuters/Andrews
Wien/Warschau – Viele Beobachter stilisieren den kommenden Sonntag, Wahltag in Polen, zu einem Schicksalstag für das mit knapp 40 Millionen Einwohnern sechstgrößte Land der EU. Sollte es der Regierung unter Jaroslaw Kaczynski gelingen, weiter an den Schalthebeln der Macht zu bleiben, würde das den Abstieg des Landes beschleunigen. Sollte es umgekehrt die oppositionelle Allianz der Linken und Demokraten (LiD) an die Spitze schaffen, könnte dies den Niedergang des Landes zumindest bremsen.

Die aktuell guten Wirtschaftsdaten haben mit der derzeitigen Wirtschaftspolitik wenig zu tun. "Es ist so, dass die Zwillinge (gemeint sind Staatspräsident Lech Kaczynski und dessen Zwillingsbruder Jaroslaw auf dem Stuhl des Ministerpräsidenten; Anm.) gar keine Wirtschaftspolitik machen." Das sagt etwa der Polen-Experte des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), Leon Podkaminer. Die polnische Wirtschaft sei sich selbst überlassen, die gute Performance rühre von den Reformen her, die noch unter den Sozialdemokraten Anfang der 1990er-Jahre und dann, nach einem Niedergang unter den Konservativen, erneut Anfang dieses Jahrzehnts auf den Weg gebracht worden sind. Podkaminer: "Wir befinden uns am Höhepunkt eines Zyklus, jetzt geht es wieder bergab." Die Frage ist nur: Wie weit bergab?

Notwendige Reformen

Nach einem Wirtschaftswachstum von 6,1 Prozent 2006 rechnet das WIIW heuer mit einem Wachstum der polnischen Wirtschaft von 6,5 Prozent. 2008 wird ein Rückgang auf fünf Prozent erwartet. Gleichzeitig beschleunigt sich die Ausweitung des Zahlungsbilanzdefizits. Bei einem Machtwechsel in Polen bestehe zumindest die Aussicht, dass notwendige Reformen in Angriff genommen und auch der auf Eis liegende Privatisierungsprozess wieder in Schwung kommt. Trotz rasch steigender Löhne in Polen geht die „Landflucht“ munter weiter. Schätzungen zufolge arbeiten bereits mehr als eine halbe Million Polen außerhalb des Landes – die meisten in Großbritannien und Irland. Höhere Verdienstmöglichkeiten dürften nicht der einzige Grund dafür sein. Auch die angespannte politische Situation in Polen und die beschränkten Entwicklungsmöglichkeiten treiben zunehmend auch 18- bis 20-Jährige in die Ferne.

Murren in der Unternehmerschaft

Aber auch in der Unternehmerschaft wird das Murren lauter. Einige prominente Firmengründer haben Polen den Rücken gekehrt, darunter auch der Milliardär und Vorzeigemanager Jan Kulczyk. Er hat das Headquarter seines Firmenimperiums nach Berlin verlegt. Sollten die Polen am Sonntag einen der Kaczynskis aus dem Amt wählen, heißt das nicht automatisch, dass es zu einem radikalen Wechsel kommt. Denn der Kaczynski im Präsidentenamt bleibt den Polen bis auf weiteres erhalten. Und der kann gegen Regierungsvorlagen sein Veto einlegen. (Günther Strobl, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 19.10.2007)