Einst Baugrund, nun Scheinidylle: Die Himmelteiche, die an Rosa Weinberger restituiert werden sollen, waren eine Schottergrube und eine wilde Deponie.

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Wien – Im Norden von Wien, gleich neben dem Flugfeld Aspern, liegt ein idyllischer Wald mit zwei Seen, die man die Himmelteiche nennt. Rosa Weinberger hätte nur zu unterschreiben brauchen: Und schon hätte die Liegenschaft ihr gehört. Ohne dass ihr, wie die Stadt Wien im November 2006 versprach, "Kosten oder Gebühren entstehen" würden. Rosa Weinberger saß lange über der Vereinbarung, in der es heißt: "Die Stadt Wien überträgt hiermit" diverse Grundstücke, zusammen 5614 Quadratmeter, "wie diese liegen und stehen, mit sämtlichem darauf befindlichem Bewuchs und mit allen Rechten und Pflichten" ... Doch sie unterschrieb nicht. Denn irgendwie hatte sie das Gefühl, über den Tisch gezogen zu werden. Rosa Weinberger lebt in Australien. Am 24. Juni dieses Jahres feierte sie, 1906 in Wien geboren und 1939 über Neapel, Nizza und Marseille nach Shanghai geflohen, ihren 101. Geburtstag. Ihre Schrift ist schon zittrig, ihr Gesundheitszustand miserabel, aber sie weiß ganz genau, was sie tut. Oder besser: nicht tut. Und sie lag intuitiv völlig richtig. Im Sommer 2002 beantragte sie bei der Schiedsinstanz des Allgemeinen Entschädigungsfonds die Naturalrestitution von rund 15.000 Quadratmetern "Baugrund" in "Obere Lehen, Aspern", die ihr Vater 1936 erworben hatte. Was sie aber jetzt zurückbekommen soll, ist nur ungefähr ein Drittel der Fläche. Das versteht die betagte Dame nicht. Und es ist auch nur schwer zu verstehen. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Rosa Weinberger um Rückstellung ersucht. Erst 16 Jahre später, 1963, wurde das Ansuchen mit einer ziemlich skurrilen Begründung durch den Verwaltungsgerichtshof in letzter Instanz abgewiesen. Obwohl bekannt war, dass die Liegenschaften neben dem Flugfeld arisiert worden waren, verkaufte die Stadt Wien im März 1981 mehr als 9000 Quadratmeter an Gerda und Max Hauser. Diese Flächen können daher nicht restituiert werden. Fatale Scheinidylle Doch was noch viel schwerer wiegt: Die Stadt erklärte sich nun zwar bereit, den Rest zurückzugeben, aber sie verschwieg Rosa Weinberger die Beschaffenheit des Grundstücks. Denn dort, wo heute die künstlich angelegten Himmelteiche liegen, befand sich bis 1970 eine Deponie mit 150.000 Kubikmeter Bauschutt und Hausmüll, die sich nach dem Weltkrieg auf Grund von Schotterabbau in einer Mulde gebildet hatte. Da das Grundwasser gefährdet war, wurde die Deponie bis zum Sommer 1992 geräumt. Und statt ihrer legte man eine Scheinidylle an: Rund um die Schotterteiche wurde über Jahre ein Wäldchen gepflanzt. Und man pflanzte noch weiter, obwohl die Rückgabe bereits empfohlen worden war. Denn der Spruch der Schiedsinstanz lag im September 2005 vor. Und am 10. Oktober lud Bürgermeister Michael Häupl laut Rathauskorrespondenz "herzlich ein", am 15. Oktober bei der Aufforstungsaktion "Der Wald der jungen WienerInnen" teilzunehmen: 15.000 Bäumchen und Sträucher würden darauf warten, "Teil des neuen Waldes am Himmelteich und somit auch des Wiener Grüngürtels zu werden". Zupacken sei daher angesagt: "Gummistiefel an, Spaten raus und los geht’s!" Was also Rosa Weinberger zurückerhalten soll, war Baugrund (angesichts des Stadterweiterungsgebiets Aspern ein ziemlich wertvoller) – und ist jetzt mehr oder weniger wertlos. Denn das Grundstück steht unter Naturschutz. Negative Folgen Die Restitution hätte für die alte Dame ziemlich negative Folgen: Sie müsste auf ihre Kosten den Wald pflegen lassen (laut Forstamt ist mit 850 Euro pro Jahr zu rechnen). Und da das Gebiet öffentlich zugänglich ist, müsste sie eine Versicherung abschließen. Und schließlich: Wer weiß schon, wie kontaminiert der Boden noch immer ist? Die Stadt hat aber kein Einsehen. Kurt Scholz, der Restitutionsbeauftragte, verweist auf den Notar Harald Wimmer, der für die Stadt die Vereinbarung mit Rosa Weinberger abschließen soll. Wimmer sagt: "Ich verstehe, dass sie nicht erfreut ist. Ein Teil der Fläche steht unter Wasser. Dort war eine illegale Deponie. Seit sieben Jahren ist es Naturschutzgebiet. Mir ist sehr wohl die Problematik bewusst, aber das ist nicht meine Angelegenheit: Ich bin Auftragnehmer der Stadt Wien – und habe diese ziemlich schwierige Rückstellung vorzunehmen." Also zurück zum Auftraggeber. Kurt Scholz gibt sich indigniert: "Diese Dame verspürt eine Bitterkeit, die ich verstehen kann. Aber sie kann eben nur ein Drittel der Fläche zurückbekommen." Immerhin: Die Stadt zahlt "weiterhin die Wartung"! Was sie nicht mehr müsste, wenn Frau Weinberger endlich den Kontrakt unterschrieben hätte. Aber auch Scholz versteht, "dass sie nicht die Verantwortung für das Grundstück übernehmen will". Daher: "Das ist der klassische Fall für eine großzügige Abgeltung." Finanzielle Kompensation, das sei bereits Routine geworden: Gut 30 Fälle habe man, so Scholz, mit Geld – "durchaus auch in Millionenhöhe" – erledigt. Was Restitutionen oder Kompensationszahlungen anlangt, könne man eine "anständige Bilanz" vorweisen, aber sie sei durch diesen einen Fall belastet. "Und dieser Fall belastet auch mich." Exemplarischer Fall Dieser Fall ist eben nicht irgendeiner, sondern ein exemplarischer: Hannah M. Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds, hat ihn zusammen mit ihren Kolleginnen Renate S. Meissner und Nina Bjalek als solchen beschrieben (im Band Ausgeschlossen und entrechtet, herausgegeben von Verena Pawlowsky und Harald Wendelin, Mandelbaum Verlag 2006). Rosa Weinberger, die sich von der Stadt zusehends unter Druck gesetzt fühlte, kontaktierte schließlich eine ehemalige Mitarbeiterin des Nationalfonds, die sie in Sydney kennengelernt hatte. Und Marianne Schulze, nun freiberufliche Menschenrechtskonsulentin, nahm sich der Sache an: "Rosa Weinberger möchte aus Prinzip das Grundstück zurück, aber unter Bedingungen, die dem Zustand 1938 möglichst angenähert sind." Laut Entschädigungsfondsgesetz könne auch ein vergleichbares Grundstück – Bauland in künftiger U-Bahn-Nähe – restituiert werden. Ähnliches ist auch im Falle des Sportvereins Hakoah passiert. Doch Scholz tut erstaunt: "Das habe ich bis jetzt noch nicht so deutlich gehört. Man muss dem nachgehen! Es muss eine Lösung gefunden werden!" Das sagte er am Donnerstag. Marianne Schulze beteuert aber, sowohl Scholz als auch die Magistratsdirektion bereits im Juni darauf aufmerksam gemacht zu haben. Seither sind vier Monate vergangen. Und nichts hat sich getan. Nur der Gesundheitszustand von Rosa Weinberger hat sich verschlimmert. Derzeit kann sie die Anrufe in nämlicher Sache nicht entgegennehmen, die ihr Sohn Georg mit den Worten "Mum, es geht um das Grundstück mit dem garbage" ankündigt ... (Thomas Trenkler/ DER STANDARD; Printausgabe, 20.10.2007)