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Richtige Karte, falsche Strategie? – Verteidigungsminister Darabos lässt sich vor Ort von Tschads Premier Coumakoye die Lage erläutern.

Foto: APA
Tschad, im Oktober 2007: Ein österreichischer Verteidigungsminister ist mit unvorstellbarer Armut konfrontiert. Geradezu entrüstet stellt er fest, dass hier keine Infrastruktur existiert. Keine Straßen, kein Strom. Hier brauche es mehr als den kurzfristigen Einsatz im Dienste der Sicherheit, hier brauche es Entwicklungshilfe. Gut so.

Kein Wunder, dass der Minister zu diesem Schluss kommt: Jährlich konkurriert der Tschad, in erster Linie mit einigen Nachbarländern, um einen der letzten Plätze in der Liste der ärmsten Staaten der Welt. Der Konflikt im benachbarten Darfur hat sich längst bis in den Tschad ausgeweitet und verschärft die Situation. Mehr als 230.000 Menschen flüchteten in den vergangenen vier Jahren über die sudanesisch-tschadische Grenze. Sicher sind sie hier nicht. Ethnische Konflikte, der Kampf um Wasser und Rebellenangriffe haben im Osten des Landes zu Gewaltausbrüchen und Vertreibungen geführt. Die Folge: Zusätzlich zu den Flüchtlingen aus dem Sudan sind 172.000 Menschen im eigenen Land auf der Flucht. Und für die internationalen Hilfskräfte wird es immer schwieriger, Hilfe zu leisten.

Gut deshalb, wenn Österreich über die Teilnahme an einer EU-Truppe nachdenkt, die für ein Ende der gravierenden Menschenrechtsverletzungen und damit für mehr Sicherheit sorgen soll. Eine internationale Schutztruppe unter UN-Mandat wird von den Organisationen, die vor Ort tätig sind, seit mehr als einem Jahr gefordert. Braucht es im Tschad aber das österreichische Bundesheer, um humanitäre Hilfe zu leisten? Und sind Soldaten geeignete Entwicklungshelfer?

Wasser, so stellt Minister Darabos – man hat beinahe den Eindruck: ein wenig geknickt – fest, ist nicht das große Problem. Die weitgereiste Wasseraufbereitungsanlage des Bundesheeres wird sich deshalb nicht auf den Weg in die Sahelzone machen. Aber die „Mission“ soll trotzdem nicht ohne humanitären Hilfseinsatz auskommen. Zumindest im sanitären Bereich will man sich engagieren.

Nun sind die Verdienste des Bundesheeres im Katastrophenfall in Österreich unbestritten – vom Hochwasser-Einsatz bis zur Suche nach Lawinenopfern. Ein Auslandseinsatz wie jener im Tschad sollte aber das erreichen, was eine Schutztruppe in Konfliktregionen beitragen kann: Sicherheit herstellen.

Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit werden im Tschad nämlich längst geleistet – von internationalen Hilfsorganisationen mit langjähriger Erfahrung in diesem Land und mit Mitarbeitern aus der Region selbst. Sie kennen die Kultur, sprechen die Sprachen und genießen das Vertrauen der Menschen. So arbeitet beispielsweise Care bereits seit 1974 im Tschad. Die enorme Zahl an Flüchtlingen wird ausschließlich von internationalen Organisationen betreut.

Zusätzliche Hände, die mit anpacken, sind immer willkommen. Aber die humanitäre Hilfe muss in den Händen der dafür bestens „gerüsteten“ Hilfsorganisationen bleiben. Das sieht auch die Leitlinie der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit vor: Humanitäre Hilfe, so steht darin zu lesen, hat unparteiisch zu erfolgen.

Sichergestellt wird dies durch die „primäre Rolle ziviler Organisationen“, die von allen Seiten als neutral akzeptiert würden. Wenn das Militär sich einklinkt, dann subsidiär. Und auch die EU rät dazu, militärischen Einsatz und Hilfe strikt zu trennen. Nur im äußersten Notfall, wenn zivile Organisationen nicht dazu in der Lage sind, sollen auch Soldaten in die Rolle von Helfern schlüpfen.

Hintergedanke dieser Leitlinien ist nicht eine Beschneidung des Tätigkeitsgebietes des Bundesheeres, sondern ein durchaus praktischer: Menschen in Kriegsgebieten haben zu militärischen Kräften nicht unbedingt ein Vertrauensverhältnis.

Vertrauen aber ist ein Eckpfeiler der Hilfe. Nur so kann man die Menschen, die Hilfe benötigen, tatsächlich unterstützen. Und nur so ist sichergestellt, dass die Helfer nicht selbst zum Ziel von Angriffen werden. Je mehr es zu einer Vermischung von militärischen- und Hilfsaktionen kommt, umso verschwommener wird die Rolle der zivilen Helfer, umso eher kommen sie in die Schusslinie.

Mit dieser Situation sehen sich Hilfsorganisationen in den letzten Jahren immer öfter konfrontiert. Etwa in Afghanistan, wo vor allem die_US-Army nicht nur mit der Waffe in der Hand, sondern auch mit „Hilfsaktionen“ ihren Feldzug für mehr Demokratie führt. Dort wo in „Hearts-_and-Minds-Operations“ US-Soldaten Hilfseinsätze durchführen, werden auch zivile Hilfsorganisationen häufig zu Angriffszielen: Büros werden in Brand gesteckt, Helfer entführt oder sogar gezielt getötet.

Humanitäre Hilfe darf nicht in den Geruch einer „Wolf im Schafspelz“-Aktion kommen. Sonst sind jene, die Hilfe benötigen, als auch jene, die unparteiisch Hilfe leisten, die Verlierer.

Gut also, wenn Minister Darabos im Angesicht der drückenden Armut im Tschad erkennt, dass hier mehr Entwicklungshilfe notwendig ist. Dann muss der Schluss daraus aber sein, nicht das Bundesheer zur Entwicklungshilfeeinheit umzufunktionieren, sondern das Entwicklungshilfebudget zu erhöhen. Dann haben wir für Herrn Darabos noch eine lange Liste von oftmals vergessenen Ländern, die er gerne bereisen darf – und in denen die Armut ebenso drückend ist wie im Tschad.

Für internationale Kriseneinsätze muss jedenfalls eine klare Raumaufteilung gelten: Schutztruppen sorgen für Sicherheit, Hilfsorganisationen leisten Hilfe. Nur dann können wir den Menschen die Unterstützung zukommen lassen, die sie brauchen. (Ulrike Schelander/DER STANDARD, Printausgabe, 22.10.2007)