Tatjana (Irina Matajewa) und Jewgeni Nikitin in der enttäuschenden Gastproduktion des Mariinsky-Theaters von Peter Iljitsch Tschaikowskys "Eugen Onegin" in Wien.

Foto: Armin Bardel

Wien - Während einer lähmend langweiligen Aufführung von Peter Iljitsch Tschaikowskys Oper Eugen Onegin kommt man unwillkürlich ins Nachdenken. Und man erinnert sich an ein Telefonat mit dem amtierenden Wiener Kulturstadtrat, in dessen Verlauf dieser in Aussicht stellte, einige Sitzreihen zwecks Gewährleistung einer größeren Beinfreiheit aufs dem Zuschauerraum des Theaters an der Wien zu entfernen.

Mittlerweile gingen mehrere Jahre ins Land, das Theater an der Wien ist zur dritten Opernbühne des Bundeshauptstadt mit großem Aplomb geadelt worden, und man pfercht sich noch immer in die Sessel wie in der Economy-Class eines Billigfliegers.

Orthopädische Folter

Derlei orthopädische Folter empfindet man bei Vorstellungen, wie sie das in diesen Tagen am Naschmarkt residierende St. Petersburger Mariinsky-Theater an seinem zweiten Gastabend mit diesem Eugen Onegin abgeliefert hat, ganz besonders schmerzlich.

Nichts und niemand, der - mit Ausnahme des exzellenten Orchesters - diese Ungemach hätte erträglich machen können. Eigentlich hätte man diese Vorstellung nur mit verbundenen Augen ertragen können.

Doch mit bestaunenswertem Selbstbewusstsein wagt Valery Gergiev als Generaldirektor der Bühne mit dieser von unendlicher optischer Tristesse gezeichneten Produktion auch noch auf Reisen zu gehen, anstatt diese vor den Blicken der Betrachter tunlichst zu verstecken.

Christian Fenouillat stellt ein Arrangement aus Sperrholz auf die Bühne, dessen fahle Platten noch immer zu viel Einblick in eine nicht vorhandene Inszenierung erlauben, für die Moshe Leiser und Patrice Caurier firmieren.

Weder die Lyrik der ländlichen Idylle, noch die bedrückende Düsternis des Duells und schon gar nicht der prunkvolle Luxus der Ballszene im Palais des Fürsten Gremin wurde auch nur andeutungsweise spürbar. Letztere wurde zu einer vor dem Palais stattfindenden Stehparty minimalisiert.

Doch so schlecht kann eine Inszenierung nicht sein, dass ein animiertes Ensemble, das gut bei Stimme ist, diese letztlich nicht doch vergessen macht. Leider war auch dies nicht der Fall.

Das Zentrum dieser Oper ist Tatjanas Briefszene, in dem diese dem von luxuriösem Müßiggang gelangweilten Titelhelden ihre Liebe gesteht. Irina Matajewa hat in dieser Szene bewiesen, dass es nicht genug ist, mit richtig gesungenen Tönen aufzuwarten. Das schwärmerische Brio, von dem diese Szene getragen sein muss, wurde auf ernüchternde Weise versachlicht.

Auch Olga (Jekaterina Sementschuk), die ein leichtlebiges Gegenstück zu ihrer Schwester Tatjana sein sollte, wirkte all ihrer stimmlichen Vorzüge zum Trotz spröde, brachte den Charme der Töne nicht über die Rampe.

Glaubhafter Lenski

Einzig Jewgeni Akimow machte aus seinem Lenski eine dramatische Person. Sein etwas gequält klingender Tenor machte seine gegen Onegin keimende Eifersucht sehr gut hörbar, und auch als Gestalt hob er sich vom anonymen Einheitsgeschehen wohltätig ab.

Anders als Swetlana Wolkowa als Larina gingen Tatjanas beide Partner, Onegin, den sie liebt, und Gremin, dem sie unverbrüchlich treu ist, in diesem musikdramatischen Einheitsbrei völlig unter. Jewgeni Nikitin war überdies unüberhörbar schlecht disponiert.

Doch auch, wenn er seine Töne mit weniger Gefährungen gesungen hätte, ließ seine Darstellung nicht einmal ansatzweise die Verzweiflung erkennen, die ihn angesichts von Tatjanas Treue zu Gremin erfasst.

Er hat ja nur eine Arie zu singen, doch diese ("Ein jeder kennt die Lieb auf Erden") ist ein Schlager. Ob diese nun Michail Kit oder Gennad Bessubenkow intoniert hat, verschweigt das Programm, berauschend war es auch nicht.

Und die Ausrede, dass Valery Gergiev im orchestralen Forterausch die Stimmen übertönte, kann im Fall des Eugen Onegin nicht gelten. Ganz im Gegenteil, er hat mit hexerhaftem Fingerzucken die Lautstärke tatsächlich auf Lyrik heruntergeschraubt, und nicht wenig dazu beigetragen, dass auch dieser beim Großteil des Publikums gut ankam. (Peter Vujica / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.10.2007)