Zur Person

Miriam Wiegele (61) studierte Medizin, Ethnologie, Botanik und Pharmakognosie und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Naturheilkunde. Ihre Spezialgebiete sind Phytotherapie, Homöopathie und Anthroposophische Medizin. Wiegele ist Autorin von Fachpublikationen und Mitglied der 2006 gegründeten Arbeitsgruppe der Nationalagentur für Immaterielles Kulturerbe der Unesco, die sich mit der Erhaltung des Wissens um traditionelle Heilpflanzen beschäftigt.

Reinhard Länger (47) ist habilitierter Pharmazeut und war 24 Jahre in Forschung und Lehre mit Schwerpunkt Qualitätssicherung pflanzlicher Arzneimittel an der Universität Wien tätig. Seit 2006 ist Länger in der Ages PharmMed Gutachter und für die Zulassung und Registrierung pflanzlicher Arzneimittel mitverantwortlich. Er ist Mitglied der Arzneibuchkommission und Präsidiumsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Phytotherapie.

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Miriam Wiegele fürchtet, dass pflanzliche Arzneien bald nur noch im Supermarkt verkauft werden, Reinhard Länger pocht auf Qualität. Andrea Fallent moderierte.

STANDARD: Einer EU-Richtlinie zufolge müssen traditionelle Heilmittel wie Teemischungen und Salben strengen Vorgaben entsprechen. Wie war es bisher, und was genau sieht diese Regelung vor?

Länger: Grundsätzlich benötigt man für die Zulassung eines Arzneimittels klinische Untersuchungen mit vielen Patienten - ein Aufwand, der sich für pflanzliche Arzneimittel oft nicht rechnet. In Österreich gab es daher schon seit den 90er-Jahren die Möglichkeit, pflanzliche Arzneimittel ohne Wirksamkeitsbeleg vereinfacht auf den Markt zu bringen. 2004 wurde dann eine EU-Richtlinie über die vereinfachte Registrierung pflanzlicher Arzneimitteln erlassen, die im Vergleich mit der österreichischen Lösung einige Änderungen mit sich bringt.

Eines der Kriterien dafür ist der Nachweis einer langjährigen Tradition. So muss ein Produkt anhand von detaillierten Aufzeichnungen seit mindestens 30 Jahren in medizinischer Verwendung sein. Der zweite wesentliche Punkt der EU-Regelung, der noch viel aufwändiger ist, betrifft die ausführliche Qualitätsdokumentation. Dazu zählt das gesamte Herstellungsverfahren - angefangen vom Anbau, Ernte, Trocknung, Lagerung über die Auswahl der Pflanzenbestandteile bis hin zur Extraktion. Jetzt muss sich jeder Hersteller eines pflanzlichen Arzneimittels an jene internationalen Guidelines halten, die auch für andere Arzneimittel gelten.

Wiegele: Mit dem Ergebnis, dass ein Antragssteller zigtausende Euro in Analysen stecken muss, damit sein Produkt als Arzneimittel registriert werden kann. Ein Aufwand, den viele kleine Firmen nicht aufbringen können und wollen. Was dazu führen könnte, dass Kräuterrezepturen wie Ringelblumensalbe oder Johanniskrautöl in Hinkunft als Nahrungsergänzungsmittel verkauft werden, weil das einfacher möglich ist. Das möchte der Unesco-Arbeitskreis nach Möglichkeit verhindern.

STANDARD: In welchen Kriterien unterscheidet sich Nahrungsergänzung von Arznei?

Länger: Vom Grundgedanken dient das Nahrungsergänzungsmittel zur Aufrechterhaltung der Gesundheit, zur Unterstützung von physiologischen Vorgängen. Ein Arzneimittel hingegen hat bestimmte pharmakologische Wirkungen, vereinfacht gesagt, es greift ein, wenn etwas im Körper in die falsche Richtung läuft. In der Praxis ist die Differenzierung äußerst schwierig. Nehmen Sie die Kamille, die es im Supermarkt als Tee gibt. Da steht nicht auf der Packung, wofür sie denn außer als Frühstückstee verwendet werden kann. Wenn der gleiche Tee in der Apotheke als Anwendung bei Blähungen verkauft wird, handelt es sich aufgrund der Indikation um ein Arzneimittel.

Wiegele: Für den Konsumenten besteht der praktische Unterschied auch darin, dass er die Qualität im Supermarkt nicht überprüfen kann. Eventuell habe ich dort im Kamillenteebeutel nur noch die Samen oder bei Hagebutte nur Fruchtschalen drin. Gehe ich aber in die Apotheke, habe ich die Gewissheit, dass das Produkt gewissen Kriterien des Arzneimittelgesetzes entspricht, auch eine entsprechende Wirksamkeit aufweist.

Länger: Bei einem Arzneimittel investiert der pharmazeutische Hersteller in die Qualität des Produktes. Beim Nahrungsergänzungsmittel erspart sich das der Produzent, und der Konsument ist im schlimmsten Fall sogar Versuchskaninchen, weil keine strenge Qualitätskontrolle gefordert wird.

STANDARD: Hier geht es also auch um Sicherheit für Konsumenten bzw. Patienten?

Wiegele: Genau. Deshalb wollen wir verhindern, dass Heilkräuterrezepturen vermehrt in den Bereich der Nahrungsergänzungsmittel abwandern. In der Apotheke gibt es Vorgaben, welche Inhaltsstoffe in einem Produkt drinsein müssen. Solche Regeln gelten für den Lebensmittelhandel eben nicht. Das heißt, wenn ich Bauchschmerzen habe und die auf natürliche Weise mit Pfefferminztee behandeln möchte, sollte mein Weg in die Apotheke führen.

Länger: Was jetzt nicht impliziert, dass Nahrungsergänzungsmittel prinzipiell eine schlechte Qualität haben. Diese ist im Gegensatz zum Arzneimittel nur nicht garantiert.

STANDARD: Was ist mit Kräuterspezialitäten, wie man sie auf Märkten kaufen kann?

Länger: Diese Dinge fallen in eine Grauzone zwischen Kosmetik, Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittel.

Wiegele: In eine zumeist illegale Grauzone. Fast in jedem Dorf gibt es Kräuterfrauen, die ihre Mittelchen verkaufen, wo man als Konsument schon überhaupt nicht mehr weiß, was wirklich drin ist. Fast noch schlimmer sind diese Verkaufsaktionen in den Wirtshäusern, wo vermeintliche Wunderheilmittel wie Aloe vera für alle möglichen Wehwehchen von Fußpilz bis Kopfweh angepriesen werden. Da wird das steigende Bedürfnis der Menschen nach natürlichen Heilmitteln beinhart ausgenützt. Pflanzliche Rezepturen sollen in der Apotheke bleiben, weil der Pharmazeut als einzige Berufsgruppe die Ausbildung dazu hat und über die Wirkung Auskunft geben darf.

STANDARD: Was tragen Sie dazu bei, um diese Registrierung von traditioneller Kräutermedizin laut EU-Vorgaben zu erleichtern?

Länger: In der Europäischen Arzneimittelagentur EMEA in London gibt es ein eigenes Komitee für pflanzliche Arzneimittel und eine internationale Arbeitsgruppe mit Beteiligung österreichischer Experten, wo ausgearbeitet wird, welche traditionellen pflanzlichen Arzneimittel EU-weit akzeptiert werden sollen. Ich bin zum Beispiel als Experte für den Thymian zuständig. Mein Auftrag ist es festzustellen, welche Thymianzubereitungen diese geforderten 30 Jahre traditioneller Anwendung aufweisen, beziehungsweise herauszufinden, ob es dazu sogar klinische Studien gibt. Das ist aufwändig, wir nehmen es den Firmen quasi ab. Für zukünftige Produkte werden Hersteller diese Beweisführung selbst erbringen müssen.

STANDARD: Wie weit sind Sie da schon?

Länger: Das wird sich noch Jahre hinziehen. Im Moment werden rund 50 Heilpflanzen bearbeitet, 18 Monografien sind bereits verabschiedet. Wobei es dann den Herstellern weiterhin selbst überlassen bleibt, ob sie ihre Produkte als Arzneimittel anbieten wollen oder doch lieber als Nahrungsergänzungsmittel, um sich die entsprechenden Qualitätsdokumentation zu ersparen.

Wiegele: Unser Unesco-Arbeitskreis bemüht sich darum, dass das Wissen über volksmedizinische Anwendungen von Heilpflanzen nicht versickert. Hier arbeiten Universitätsinstitute, die Apothekerkammer und betroffene Hersteller zusammen. Zum Beispiel werden am Institut für Pharmakognosie in Wien viele Studien über traditionelles Kräuterwissen in bestimmten Regionen initiiert. Mit diesem Wissen unterstützen wir die Ages wiederum bei ihren Recherchen.

Länger: Wir arbeiten im Moment auch gemeinsam an einer Überarbeitung des "Österreichischen Arzneibuches", einer Sammlung von Rezepturen sowie Herstellungs- und Qualitätsvorschriften, in die wir gerne vermehrt traditionelle Rezepturen - zum Beispiel jenes der Ringelblumensalbe - aufnehmen würden.

STANDARD: Wohin geht der derzeitige Trend zu natürlichen Arzneimitteln? Könnte er eine vermehrte Forschungstätigkeit rund um Kräutermedizin auslösen?

Wiegele: Ich würde mir in Hinkunft mehr Geld für die Forschung wünschen, um die Wirkung von in Vergessenheit geratenen Kräutern wie Gänseblümchen, Ehrenpreis oder die Meisterwurz genauer zu untersuchen. Letztere war zum Beispiel die Lieblingspflanze von Paracelsus, die nur noch als den Stoffwechsel anregender Bitterstoff in Verdauungslikören verwendet wird, aber vermutlich antivirales Potenzial hat, übrigens wie viele unserer Heilpflanzen. Ein Aspekt, der bei der latenten Gefahr einer Grippepandemie interessant werden könnte. Die Schulmedizin hat hier wenig entgegenzusetzen.

Länger: Leider unterliegen auch die Universitäten gewissen Modeströmungen bei der Forschung, und die derzeitigen gehen im Moment zur Gänze an traditionellen Heilmitteln vorbei. Momentan läuft das Geld vermehrt in moderne Forschungsrichtungen wie Gentechnik und Molekularbiologie. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.10.2007)