London/Paris/ - Der Wahlsieg der liberalen Bürgerplattform (PO) des bisherigen Oppositionschefs Donald Tusk in Polen ist am Dienstag Gegenstand zahlreicher Pressekommentare:

"The Times" (London):

"Sobald Wahlsieger Tusk einen Koalitionspartner gefunden hat, kann er sein Wahlversprechen umsetzen und dem Land die Möglichkeit geben, sein Potenzial zu entfalten. Dafür muss Tusk die Zustimmung der Warschauer Wirtschaftseliten, der jungen und dynamischen Polen für sich gewinnen, die sich von seinem rückwärtsblickenden Vorgänger Jaroslaw Kaczynski abgewandt haben und seiner Botschaft über wirtschaftlichen Wettbewerb gefolgt sind. Tusk wird jedoch auch die Sorgen der sozial schwachen Landbevölkerung beachten und bedenken müssen, dass die Erwartungen der Polen seit der Aufnahme in die EU gestiegen sind".

"Le Monde" (Paris):

"Die Blockadepolitik in der EU hat den Konservativen nicht genutzt. Das bedeutet nicht, dass die Polen die Verteidigung ihrer nationalen Interessen aufgeben. Alle EU-Staaten sind in derselben Lage. Doch die nächste polnische Regierung dürfte sich nicht systematisch jedem Integrationsfortschritt entgegenstellen. Sie dürfte auch damit aufhören, die deutschfeindliche Leier anzustimmen, die zu Spannungen mit Berlin geführt hat, ohne die Popularität der regierenden Zwillinge zu erhöhen. (...) Polen gibt ein Beispiel für politische Reife, die vielleicht das Ende der Übergangszeit einläutet. Die Ehemaligen der Gewerkschaft Solidarnosc, die sich nach ihrem entscheidenden Beitrag zum Fall des Kommunismus zerstritten hatten, finden sich jetzt in allen Parteien wieder. Das ist eine Form der demokratischen Normalität."

"Neue Zürcher Zeitung" (NZZ):

"Die Programme der Bürgerplattform und der Partei 'Recht und Gerechtigkeit' (PiS) der Kaczynskis sind über weite Strecken deckungsgleich. Tusks Leute haben für das umstrittene (aber im Ganzen bemerkenswert gut arbeitende) Antikorruptionsbüro gestimmt. Sie verabscheuen die Postkommunisten und ihre Machenschaften, sie wollen eine Aufarbeitung der Verbrechen des Kommunismus, und sie sind durch und durch patriotisch gesinnt. Tusk lehnt das 'Zentrum gegen Vertreibung' in Berlin ebenso ab wie die Kaczynskis, er ist dem Russland Putins gegenüber überaus misstrauisch (...) Was Tusk dennoch so anders macht, ist sein entspannter, den Dialog statt die Konfrontation suchender Stil. Die Regierung der Bürgerplattform wird die Eckpfeiler der polnischen Innen- und Außenpolitik praktisch unverändert belassen. Aber sie wird es eleganter und gewinnender tun als Jaroslaw Kaczynski."

"Der Tagesspiegel" (Berlin):

"Hinter der Fassade der Brüder Kaczynski hat sich Deutschlands Nachbar in den vergangenen Jahren gewaltig verändert. Polen ist nicht mehr irgendwo im Osten, nicht mehr Ausland, es ist zu einem Teil der europäischen Innenpolitik geworden. Bisher nur als Karikatur - einer rückwärtsgewandten Politik, die ihre Legitimation aus den Verlierern der neuen Demokratie gewann. Jetzt als Blaupause der realen Verhältnisse in einem Land, dessen Bevölkerung europäisch denkt und dessen Wirtschaft expandiert. Dafür steht auch der Wahlsieger Donald Tusk."

"Frankfurter Rundschau"

"Keine Frage, ob in Berlin oder Brüssel, die Polen haben unter der Zwillingsherrschaft genervt bis zum Anschlag. Das zumindest wird nun anders, der raue Ton wird weicher. Die europäische Grundrechtecharta könnte Gnade in Warschau finden, und die Einführung des Euro steht auf der Tagesordnung. Gleichwohl wird auch die neue polnische Regierung mit Härte die eigenen Interessen zu vertreten wissen. Auch dies kann den Europäern nur recht sein. Europa braucht ein selbstbewusstes Polen als Partner, ohne Warschau bliebe die Union unvollständig."

"Süddeutsche Zeitung" (München)

"Tusk wird weitere Reformschritte wagen müssen, auch gegen seine eigenen Parteigranden. Das größte Problem der jungen polnischen Demokratie besteht darin, dass keine Regierung seit der politischen Wende 1989 es geschafft hat, eine gut funktionierende Staatsverwaltung aufzubauen. Mit jedem Regierungswechsel hat man auch das gesamte Führungspersonal ausgewechselt, von den Ministerien bis hinunter zu den Bezirken. (...) Und doch wird Tusk inhaltlich kaum andere Ziele verfolgen als sein Vorgänger. So wird er, wenn auch in konzilianterer Form, gegenüber Berlin konsequent auf der Verteidigung polnischer Interessen bestehen, etwa bei Eigentumsforderungen deutscher Vertriebener oder den Rechten polnischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Doch sieht Donald Tusk diese Fragen vernünftigerweise nicht als gravierende Probleme an. Das lässt auf Entspannung beiderseits der Oder hoffen."

"Stuttgarter Zeitung"

"Bei aller Erleichterung, dass die rückwärtsgewandte Kaczynski-Regierung bald der Vergangenheit angehört, darf nicht übersehen werden, dass ein Drittel der Polen Kaczynski ihre Stimme gegeben haben. Sie haben es honoriert, dass er nach Jahren des Stillschweigens endlich eine Debatte über die Zeit Polens unter dem kommunistischen Regime angestoßen hat. Zu lange ist in Polen über die damalige Rolle von Politikern, Wirtschaftsbossen und auch der Kirchenmänner geschwiegen worden. Donald Tusk wird die Herkulesaufgabe weiterführen müssen, die Polen mit ihrer eigenen Vergangenheit zu versöhnen. Jaroslaw Kaczynski hat es mit der Holzhammer-Methode versucht, und damit ist er kläglich gescheitert."

"die tageszeitung" (Berlin)

"Tusk ist der richtige Mann für einen Neuanfang. Vor zwei Jahren verlor er die Wahlen, weil er den Vorwurf der angeblich 'zu großen Deutschland-Freundlichkeit' nicht parieren konnte. Diesmal aber stach die antideutsche Karte nicht. Tusk nämlich bekannte sich völlig offen dazu, dass er die Deutschen möge, so wie er auch die Tschechen möge, die Slowaken, die Briten und die Russen. Er wird nun einen bewusst proeuropäischen Kurs einschlagen und versuchen, mit allen Nachbarn wieder freundschaftliche Beziehungen aufzubauen. Der politische Stil wird sich ändern."

"La Stampa" (Turin):

"Wahlsieger Donald Tusk wird sich in der Frage des geplanten US-Raketenabwehrsystems in Polen mit den USA auseinandersetzen müssen. Die Brüder Kaczynski hatten sofort die amerikanischen Vorschläge akzeptiert, so dass US-Präsident George W. Bush als Zeichen der Anerkennung zweimal Warschau zur ersten Etappe einer Europa-Tour gemacht hat. Der Liberale Tusk, und das ist schon ein ordentlicher Unterschied zu den Brüdern, will wieder ein gutes Verhältnis mit Moskau herstellen, und die Revision der Vereinbarungen über das Abwehrsystem könnte dafür eine Gelegenheit bieten."

"de Volkskrant" (Den Haag):

"Es wäre ein Missverständnis zu glauben, dass in Polen nun ein völlig anderer Wind weht. Patriotische Gefühle sind und bleiben stark. Warschau wird Brüssel nicht plötzlich mit Kusshand grüßen. Die Bürgerplattform ist eine (neo-)liberale Partei mit einem nicht unbedeutenden konservativen Flügel. Außerdem ist da noch Staatspräsident (Lech) Kascynski, dessen Mandat bis 2010 reicht. Mit seinem präsidialen Vetorecht kann er Gesetzestexte blockieren. Zwar ist es möglich, ein Veto mit einer Dreifünftelmehrheit zu überstimmen, aber häufige Wiederholung könnte zu einem auszehrenden politischen Stellungskrieg führen. Dann käme Polen vom Regen in die Traufe." (APA/AFP/dpa)