Da hatte "Österreich" einmal wirklich die Nase weit vorn im Wind der Exklusivität. Es war aber auch Zeit, endlich den Weihnachtsrummel zu eröffnen. Wählen Sie das Christkindl, rief Fellner die mit seiner besten Zeitung beschenkten Leser Samstag zu basisdemokratischem Handeln auf. Ob die Aufgerufenen - nicht weniger als alle Wiener - bis Sonntag Mitternacht auch etwas mitzureden hatten, ist, wie so oft bei Wahlen, zweifelhaft. Geht es doch um einen Traumjob, das heißt: Die Bewerberinnen werden genau auf ihre Christkindl-Tauglichkeit überprüft. Von wem, blieb vorsichtshalber offen.

Das war bei der "Kronen Zeitung" anders, die nur einen Tag später in ihrer bunten Beilage unter dem Titel Bringen Sie "Krone"-Leser zum Lachen zur Kür eines österreichischen Witzepräsidenten aufforderte. Allerdings hatte das demokratische Engagement auch beim Kleinformat einen soliden geschäftlichen Hintergrund. "Die Wahl zum Witzepräsidenten wurde ins Leben gerufen, um die vielen Möglichkeiten des gestaltbaren Internet Web 2.0 anhand einer kreativen Idee einem breiten Publikum zugänglich zu machen", erklären die Chefs von Alcatel-Lucent Austria und Telekom Austria TA AG. Und sie freuen sich auf eine zahlreiche und vor allem kreative Beteiligung der "Krone"-Leser.

Offen blieb, ob damit "Krone"-Schreiber von der kreativen Beteiligung ausgeschlossen bleiben, was in zahlreichen Fällen, vor allem aber im Falle des Kolumnisten Hans-Peter Martin schade wäre, erfüllt er doch die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kandidatur optimal: Dem Gestaltungsdrang der Präsidentschaftskandidaten sind bei der Suche nach dem 1. Witzepräsidenten des Landes selbstverständlich keinerlei Grenzen gesetzt: Ob schräg, parodistisch oder verkleidet: Erlaubt ist, was gefällt!

Dem Herausgeber hat jedenfalls gefallen, wie der Witzepräsident in spe alle Grenzen des Lissabonner Gipfels überwand und damit seinen Gestaltungsdrang zu dem Aufmacher steigerte: "Krone" hinter den Kulissen des EU-Gipfels. Richtig unheimlich wurde es dann im Blattinneren, wo es hieß: EU-Gipfel: In der Dunkelkammer der Macht. Dort konnte "die Krone" - mit dem Ex-Spiegelkorrespondenten, nun unabhängigen EU-Abgeordneten bereits zur Personalunion verschmolzen - hautnah beobachten, wie kleinkariert und banal es in Wahrheit zugeht.

In Wahrheit hat zumeist noch jeder EU-Korrespondent dasselbe beobachtet, aber es ist doch etwas ganz anderes, wenn sich der Bewerber um den Posten eines 1. Witzepräsidenten Österreichs keinerlei Grenzen setzt und damit dem Herausgeber, dessen Kampagne er kolumnistisch unterfüttert, klar zu stellen erlaubt, wie sehr er es hasst, wenn es irgendwo kleinkariert und banal zugeht. Nicht nur den Politikern reißt Martin die banale Maske, die wir doch alle lieben, herunter, schon die Räumlichkeiten, in denen sie kleinkariert ihrem Handwerk nachgehen, atmen Dämonie. Der fensterlose Raum wirkt wie ein Bunker in einem schlecht belichteten Gruselfilm. Doch er ist echt. Im blaugrauen Halbdunkel sitzen in einem absurd langen Oval 27 Staats- oder Regierungschefs sowie deren Außenminister, dazu die Brüsseler EU-Spitze. Gespenstisch.

Um in diesem unterbelichteten Gruselfilm eine Komparsenrolle zu ergattern, nahm Martin nicht wenig auf sich. Mit ein paar Tricks und viel Portugiesisch, das ich als "Spiegel"-Korrespondent in Südamerika gelernt habe, hatte ich insgesamt vier Kontrollstellen umgangen, um bei dieser entscheidenden Gipfelsitzung hinter geschlossenen Türen dabei zu sein, bei der es um Sein oder Nichtsein des neuen EU-Reformvertrages ging. Es war Donnerstag, halb sieben Uhr abends, als mir eine lichtarme Raumecke und später eine Dolmetschkabine Schutz bot.

Obwohl es um Sein oder Nichtsein des neuen EU-Reformvertrages ging, hat sich das Palavern auf Portugiesisch nicht ausgezahlt. Doch wozu all dies? Denn es ist alles unheimlich banal, muss sich Martin eingestehen - wie vom Blitz getroffen von der Erkenntnis: Umständlich beharren die einzelnen Redner auf ihren Positionen, die längst öffentlich bekannt sind. Zum Glück wird er rasch aus diesem Alptraum von Banalität gerissen, den er der "Krone" als Sensation und Beweis seiner Befähigung zum Witzepräsidenten andrehte. Hilfe suchend wenden sich die Premiers und Kanzler auch sofort wieder nicht an ihn, sondern an ihre Topbeamten, als sie in einer Pause den innersten EU-Bunker verlassen. Plötzlich aber stellt sich einer von ihnen vor mich hin und herrscht mich an: "Was machen denn Sie hier?" Und wie es der Zufall will, war es just der, der im Mai entschieden hat, mich zu bestrafen, weil es zu angeblichen Formfehlern bei der Beschäftigung einiger Mitarbeiter gekommen sein soll. Eine bürokratische Farce, die mir vor allem öffentlich schaden soll. Und unheimlich banal, wie es in der EU zugeht, könnte ihm das gelingen.

Und was tun die Journalisten? Fast atemlos lauschen sie aber dem Nichts, statt harte Fragen zu stellen. Um 1.15 Uhr ist der Spuk vorbei. Doch die EU-Dunkelkammer der Macht im Lissaboner Pavillon bleibt. Und der 1. Witzepräsident Österreichs steht fest. (Günter Traxler/DER STANDARD; Printausgabe, 23.10.2007)