"Wissenschaftlich begründet ist die Anschauung, dass die großen Flüsse erst in verschiedenen Zeiten diese Gestalten gewonnen haben, mit denen sie sich uns heute darstellen. Jahrmillionen, mannigfaltige erdgeschichtliche Vorgänge waren notwendig, den Strömen, hier der Donau ..." So weit, so einleitend sowie den geografischen Spielraum auf der einen Seite absteckend, das Wissenschaftliche.

Das Obere Mühlviertel gen Nordosten hin durchmessend, stoßen wir auf die andere Grenze; und dichterisch klingt es dort so: "Ein Gefühl der tiefsten Einsamkeit überkam mich jedes Mal unbesieglich, so oft und gern ich zu dem märchenhaften See hinaufstieg. Ein gespanntes Tuch, ohne eine einzige Falte, liegt er weich zwischen dem harten Geklippe, gesäumt von einem dichten Fichtenbande, dunkel und ernst, daraus manch einzelner Urstamm." (Adalbert Stifter: "Der Hochwald")

Das Fließende, Strömende, sich Eingrabende, die Landschaft Zerpflügende auf der einen, das Ruhende, Stille, märchenhaft Dunkle auf der anderen Seite. Aus der Gegend um den Plöckensteinsee zogen meine Vorväter mütterlicherseits an die Donau; schlugen Wurzeln in Obermühl und in Kirchberg ob der Donau. Wenn man mit der - damals noch frei fließenden - Donau vor der Haustür aufgewachsen ist, dann bleibt man ein Leben lang ein Kind des Wassers. Es ist der Geruch, der einen begleitet - man wittert, wo immer man Neuland betritt, die Wasserstellen im Voraus. Es ist diese zugleich bedrohliche und beruhigende Masse, von der man angezogen wird, vor der man sich zu hüten hat.

Prägende Hochwasser Es waren vor allem die Hochwasser, welche sich dem wenige Jahre alten Kind unauslöschlich eingruben. Vor dem Jahrhundert-Hochwasser 1954 flüchtete meine Mutter mit mir als kaum Einjährigem in die Steiermark. Ein paar Jahre später dann mein erstes erlebtes Hochwasser: aufregend-abenteuerlich; im wahrsten Wortsinn über das Fassungsvermögen des Kindes hinausgehend. In Erinnerung: das Treibgut im reißenden Strom, seine schmutzige Farbe, ganze Tage ein unablässiges Umherstiefeln, Abmessen, Beobachten - steigt es, fällt es?! Eine Zillenfahrt im Mündungsgebiet der Kleinen Mühl. Das Sich-die-Waage-Halten schließlich zwischen dem Bedauern über den Rückgang des Wassers einerseits und der Neugier auf das Strandgut andererseits.

Man hatte als "Bua vom Donautal" den Kindern aus dem "trockenen" Hinterland jedenfalls etwas voraus. Auch das tägliche Beobachten der Schiffe, das Wissen um die Unterschiede, gehörte dazu. Ich erinnere mich noch der wahrlich imposanten Schlepper mit zwei Rauchfängen, weiß um das sicherste Anfahren von Wellen Bescheid, habe früh schon Fahnen ihren Ländern zuteilen können. Man wurde von klein auf mit der Fischerei vertraut; tat es mit der Fischerstang', der Lei' (dünnes Seil mit an Schnüren befestigten Angelhaken, das am Ufer festgemacht wurde; das andere Ende war mit einem Stein befestigt - und den warf man "hinaus") ... oder mit bloßen Händen. Für den Gegenpreis von zwei gefangenen Hechten hätte ich 1659 von Obermühl nach Wien reisen können - auf dem Donaustrom ... Im Jahre 1955 hat die einfache Fahrt Linz-Obermühl neun Schilling gekostet, die gleiche Strecke stromabwärts einen 10er.

Mit 1837/38 ist der Beginn der Donau-Dampfschifffahrt anzusetzen. 1837 fuhr erstmals der Dampfer "Ludwig 1" von Regensburg nach Linz. Von 1938 an wurde die Strecke von der bayerischen Grenze bis Linz regelmäßig befahren; zuerst wurden Reisende und Güter noch auf ein und demselben Dampfer befördert, doch bald wurden Schleppschiffe eingeführt. Der Beruf des Schiffmeisters wurde samt allem Drum und Dran allmählich zurückgedrängt, musste sich mit dem langsamen Aussterben abfinden.

Langsam auf Grund Die mit viel Verantwortung ausgestattete und angesehene Kunst des Wasserfuhrwerkens lief langsam, aber sicher auf Grund. Zillenbauer, Schopper und Schiffsleute, vom Meister über den Reiter bis zum Knecht, wurden Bauern, Kleinhäusler oder wanderten ab. Was geblieben ist, sind Erinnerungen an die vor dem Kraftwerksbau Aschach noch naturgegebenen Ufer stromauf- und -abwärts. Anhand dieser "wie Gott sie schuf" noch intakten Uferformationen konnte man sich das gefährliche, zeitraubende, einen Menschenschlag (d' Schiffsleut') prägende Handwerk so richtig vorstellen: Man hörte die Zugpferde schnauben, das Zugtau surren, die Peitschen knallen, den Schiffreiter schreien. Man liest von vierzehn Tage langer Fahrt von Wien nach Linz; eine Strecke, die heute in vierzehn Stunden oder weniger bewältigt wird.

Was wurde "gewonnen"? - Zeit? - Und verloren ...? Trotz allem: Nach wie vor speisen Ranna, Große und Kleine Mühl mit all ihren Bächlein die Donau im Oberen Mühlviertel. Erwähnt sei der nahe bei Obermühl in die Kleine Mühl mündende und in der Ameisberg-Gegend entspringende Daglesbach. Ihn auf seinen ersten beiden Laufkilometern bergab stolpernderweise verfolgt zu haben, zählt zu meinen schönsten Wasser-Erlebnissen - wie ein Kleinkind sprang er mit meinen Schritten um. Solch ein Kreuz und Quer kriegt man lange nicht mehr aus den Gehwerkzeugen und aus den Augen. Die aus dem Südosten, der Waxenberger Gegend kommende und bei Haslach in die Große Mühl fließende Steinerne Mühl bietet alles für den nicht wasserscheuen Kletterer auf ebener Erde. Bleibt: der Klafferbach; und dieser führt uns an den Ursprung, in den Böhmerwald, in das Gebiet um den Plöckenstein(see) und Hochficht. Dort scheiden sich die Wasser. Die einen fließen gen Süden donauwärts, um in einem das Schwarze Meer anzusteuern. Die anderen, auf tschechischem Gebiet der Moldau zuströmenden, haben sich auf ihren Wellenkämmen auf die Elbe und also die Nordsee gefasst zu machen.

Stifters Figuren Zu den faszinierenden Wasser-Erlebnissen des Böhmerwaldwanderers gehören die eingedickten, verfilzten, naturgemäß verwitternden Resttümpel des ehemals "Fürstlich-Schwarzenberg'schen Schwemmcanals". 1789 von Ingenieur Rosenberger begonnen, sorgte er, um's ganz einfach zu sagen, dafür, dass Holz aus dem Böhmerwald auf der einen Seite seinen Weg nach Wien und auf der anderen jenen nach Prag und so fort bis nach England finden konnte. Längst vergangen, vergessen, diese Hoch-Zeit des Böhmerwaldkammes, in der ganze Familien zusammenhalfen, aus welcher Adalbert Stifter die Figuren und Schicksale seiner Erzählungen rekrutierte, in der das Gebiet trotz Wasserscheide oder gerade deswegen "im Fluss" war.

Im Fluss ... Wer an Ufern aufgewachsen, weiß um die geringen Möglichkeiten, jemals wirksam gegen den Strom schwimmen zu können - aus eigener Kraft. Eine nicht zu unterschätzende Erfahrung am eigenen Leib. Außerdem: Als "Stromer" ist man bald mit vielen, wenn auch nicht mit allen Wassern gewaschen; lebenslang. (DER STANDARD – Printausgabe, 23.10.2007)