Martin Heller fordert die Linzer heraus: "Was ich hasse: Wenn man das Gewöhnliche macht, aber mit mehr Geld."

Foto: Linz '09
Standard: Die Linzer wurden animiert, Projektideen einzureichen. Aber nur ein Bruchteil dieser wird realisiert, was nach der anfänglichen Euphorie für Unmut sorgt. Sind Sie in die gleiche Falle getappt wie Wolfgang Lorenz, der Intendant der Kulturhauptstadt Graz 2003?

Heller: Dieses Problem gibt es bei allen Kulturhauptstädten: Das Format vermittelt den Menschen das Gefühl "Das gehört uns". In Zeiten eines erweiterten Kulturbegriffs heißt das immer auch: "Wir haben Ideen." Jetzt kann man das offensiv spielen - und einen Call machen. Aber wir waren gar nicht auf der Jagd nach Ideen. Wir haben nur gesagt: Wenn jemand eine Idee hat, dann soll er sie ganz formlos einreichen! Und trotzdem kamen 1500 Vorschläge. Dass der Großteil nicht realisiert werden kann: Das ist eben so. Aber wir nehmen die Ideen ernst, reagieren darauf - und ich unterschreibe jede Absage selbst.

Standard: Auf der Homepage heißt es: "Wir begrüßen in hohem Maße Ihre Projektvorschläge!" Gleichzeitig haben Sie sich mit einem "Rechtshinweis" abgesichert: Es gibt keinen Anspruch auf Entgelt.

Heller: Nicht zu mauern, sind wir dem offenen Format Kulturhauptstadt schuldig. Aber um eine Idee einzureichen, braucht man nicht viel Zeit. Man braucht Hoffnung. Und wenn wir eine Idee zum Konzept ausarbeiten lassen, dann bezahlen wir das auch.

Standard: Ist die Interpretation Ihre Grundüberlegung richtig: Nicht Linz ist Kulturhauptstadt, sondern die Kulturhauptstadt findet in Linz statt?

Heller: Linz hat die Chance, sich in einem friedlichen Ausnahmezustand als Kulturhauptstadt zu verhalten.

Standard: Deshalb bestreitet auch nicht so sehr die lokale Künstlerschaft das Programm.

Heller: Ja. Aber die Stadt und die Region hatten einen Vorsprung: Sie waren die Ersten, an die wir uns gewandt haben. Wenn es gegen alle statistischen Erwartungen mehr interessante Ideen gegeben hätte: Es hätte mich nichts daran gehindert, sie zu realisieren. Denn es geht nicht um Namedropping. Es geht um ein Konzept, das sich auf Linz einlässt. Ich glaube, Benchmarking tut dieser Stadt gut. Also: Leute wie Luk Perceval herzuholen, die sonst nicht da wären. Diese Reibung mit der Welt ist für Linz extrem wichtig. Es geht um eine Mischung, die virulent ist: Sie soll etwas ergeben, was nicht verwechselt werden kann mit anderen Kulturhauptstädten. Und es soll nicht ein Jahr wie jedes andere sein: Wir feiern uns nicht selbst, sondern stehen unter europäischer Beobachtung.

Standard: Daher ist, wie Sie postulierten, "über den kulturellen Alltag hinaus deutlich höhere Qualität verlangt". Airan Berg etwa, für das Schauspiel zuständig, fordert von den Theatern, dass sie sich für Koproduktionen öffnen. Das wird aber von der Künstlerschaft kritisiert - wie man am Kommentar "Linz null nein" sieht.

Heller: Wir konfrontieren die Stadt mit anderen Vorstellungen von dem, was künstlerisch-kulturelle Arbeit heute ist. Ich finde, die Chance verpflichtet zu Außergewöhnlichem. Was ich hasse: Wenn man das Gewöhnliche macht, aber mit mehr Geld. Ich kann doch nicht mein Leben lang kleine Projekte machen - und dann plötzlich meinen, ich könne ein Millionenbudget handeln. Das Geld vor Augen, sehen das manche natürlich anders. Aber ich möchte mit dem Geld möglichst viel erreichen: an Qualität, an Impuls, an Nachhaltigkeit. Natürlich versuchen wir, die regionalen Exponenten einzubinden, und machen ihnen Angebote. Sehr oft ist aus der Szene der Satz gekommen: "Stellt uns ein Thema!" Aber ich bin nicht gewohnt, Künstlern ein Thema zu stellen. Künstler sein heißt, eigene Themen zu entwickeln. Ich versuche, dann Verortungen anzubieten. Also zu erwarten, dass von ihnen die großen Inspirationen kommen: Das wäre eine Überforderung der Situation und der Personen. Aber das ist ihnen schwer zu vermitteln. Da muss man durch.

Standard: Sie kommen von außen. Schlägt Ihnen als Schweizer ein rauer Wind entgegen?

Heller: Nein. Obwohl ich eine dezidiert andere Sicht von Linz entwickelt habe. Denn ich akzeptiere nicht den Satz, "Wir sind von der Industrie- zur Kulturstadt geworden." Denn Linz ist noch keine Kulturstadt. Und Linz soll auch nicht eine werden. "Industrie und Kultur" ist der Schlüssel. Weil Linz ein erfolgreiche Industriestadt ist. Und solche sind selten. Also: Ich seh das anders. Und das regt schon auch zum Nachdenken an. Was ich mir wünsche: dass die Stadt internationaler wird. Das braucht sie auch, damit es hier lebenswert ist.

Standard: Sie thematisieren die NS-Vergangenheit bereits 2008, beispielsweise ab Oktober mit der Ausstellung "Kulturhauptstadt des Führers" im Schlossmuseum. Wollen Sie sich damit freispielen?

Heller: Nein, das Thema wird sich durchs ganze Jahr ziehen. Die Stadt kann die NS-Geschichte noch so viel aufgearbeitet haben - und hat sie auch. Aber wenn man diese erzählen muss, ist das etwas ganz anderes: Man muss Bilder finden, man muss sich die Häme gefallen lassen und so weiter. Die Stadt, die jetzt Kulturhauptstadt lebt oder dieses Spiel spielt, muss sich anderen Verantwortungsmaßstäben bewusst werden. Es geht nicht nur um Qualität, sondern auch um Haltung. Aber den Anfang dieser Auseinandersetzung möchte ich vorziehen. Um von der Eröffnung etwas Druck wegnehmen, damit nicht nur über das "Hitler-Linz" geredet wird. Das fände ich billig und ungerecht der Stadt gegenüber.

(Thomas Trenkler, DER STANDARD/Printausgabe, 23.10.2007)