Audio- und Videodokumente, die nicht bald digitalisiert werden, können für ewig verloren sein. Wie man "digitaler Amnesie" vorbeugen kann, erklärt Dietrich Schüller, Leiter der Phonogrammarchivs, im Gespräch mit Karin Krichmayr.

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STANDARD: Vor welchen Herausforderungen steht die langfristige Bewahrung von Ton- und Videodokumenten?

Schüller: Für Audio und Videodaten gibt es nur mehr ein kleines Zeitfenster. Was in den nächsten 20 Jahren nicht in digitale Speicher eingespielt wird, ist verloren, weil die Abspielgeräte nicht mehr verfügbar sind. Zudem müssen dann die digitalen Daten am Leben erhalten werden. Wir sind verwöhnt von der Beständigkeit der analogen Information. Wir können digitale Daten aber nicht mehr wie Bücher in die Bibliothek stellen und später abstauben, wenn wir sie brauchen. Sie müssen permanent gepflegt und von einer Speicherplattform auf die nächste migriert werden.

STANDARD: Sind die Anstrengungen in Österreich und auf EU-Ebene ausreichend, um audiovisuelles Kulturgut für die Zukunft zu erhalten?

Schüller: Die EU hat in den vergangenen 15 Jahren die Forschung auf dem Gebiet des Zugangs zu digitalen Daten sehr stark gefördert. Die Bewahrung der analogen und digitalen Daten war zunächst den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen und ist alles in allem bisher hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben. Österreich muss man zugute halten, dass es insbesondere bei der Einführung von E-Government zu den Spitzenstaaten gehört. Einen Aufholbedarf gibt es aber im kulturellen Bereich, wo es einer systematischen Überführung des Kulturerbes bedarf.

STANDARD: Was kann getan werden, um einer "digitalen Amnesie" zu entgehen?

Schüller: Man muss bereit sein, die permanenten Kosten der Bewahrung digitalen Kulturgutes sicherzustellen. Wir bräuchten zentrale digitale Kulturspeicher, ähnlich den Einrichtungen im wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich, wo große Datenmengen wesentlich kostengünstiger bewahrt werden könnten, als wenn die einzelnen Institutionen für sich arbeiten.

STANDARD: Das Phonogrammarchiv hat kürzlich in Korea den Jikji-Preis der Unesco für „signifikante Beiträge zur Bewahrung des Dokumentenerbes“ erhalten. Was werden Sie mit dem Preisgeld von 30.000 Dollar machen?

Schüller: Wir werden die Sammlung des philippinischen Komponisten und Musikethnologen José Maceda, die aus rund 1700 Stunden Tonaufnahmen von traditioneller Musik aus dem südostasiatischen Raum besteht, technisch sichern. Dazu werden wir Techniker einschulen, das Equipment beschaffen und beim Aufbau eines Digitalarchivs helfen. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.10.2007)