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Kanzlerin Merkel verdirbt Struck die Laune. Sie soll sich nicht mit erfolgreichen SPD-Initiativen schmücken.

Foto: AP/Jan Bauer
Wenn der SPD-Parteitag am Wochenende mehr Arbeitslosengeld für Ältere beschließt, bedeute das nicht das Ende der Reformagenda, sagt SPD-Fraktionschef Peter Struck. Er räumt aber im Gespräch mit Birgit Baumann ein, dass die SPD auf Druck der Gewerkschaft reagiert.

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STANDARD: Am Wochenende beschließt der SPD-Parteitag die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere. Wird Schröders Reformagenda begraben?

Struck: Es ist absurd anzunehmen, dass wir damit die ganze Agenda 2010 verlassen. Das behauptet nicht einmal Franz Müntefering, der die Verlängerung ja für falsch hält. Denn die Agenda besteht aus vielen, vielen Punkten, an denen wir ja festhalten.

STANDARD: Warum ändert man dann diesen einen Punkt?

Struck: Weil viele Menschen, die 30 oder 40 Jahre lang in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt haben und kaum noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, genauso behandelt werden wie jemand, der nur zwei oder drei Jahre einbezahlt hat. Die SPD behebt eine gefühlte Ungerechtigkeit.

STANDARD: Die fühlen viele Menschen ja seit Jahren. Warum passiert gerade jetzt die Umkehr? Weil die Umfragen für die SPD so schlecht sind?

Struck: Umfragen interessieren mich nicht. Aber es ist deutlich festzustellen, dass über 50 Prozent der 60-Jährigen keinen Arbeitsplatz mehr finden – auch wenn die Lage am Arbeitsmarkt besser geworden ist. Natürlich muss man auch darauf hinweisen, dass die SPD versuchen muss, mit den Gewerkschaften wieder in ein ordentliches Verhältnis zu kommen, denn ohne deren Unterstützung bei den nächsten Bundestagswahlen wird es schwer werden.

STANDARD: Also ist die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I ein Kniefall vor dem DGB?

Struck: Nein. Der DGB fordert ja noch viel mehr Änderungen, aber wir werden dem nicht nachkommen. Wir verlängern das Arbeitslosengeld und werden noch in einem Punkt eine Ausnahme machen: indem wir die Übergänge in die Rente mit 67 flexibler machen, weil es Menschen gibt, die nicht bis 67 Jahren ihrem Beruf nachgehen können.

STANDARD: Auch in der SPD fordern viele eine Erhöhung des Hartz-IV-Satzes (347 Euro).

Struck: Das könnte man auch anders lösen – etwa, indem man besondere Umstände berücksichtigt. Wenn Kinder in die Schule kommen, kann man ja auch Schulranzen finanzieren oder das Schulessen bezahlen und so verhindern, dass Geld nicht dort ankommt, wo es hin soll.

STANDARD: Die SPD_macht also Schluss mit den Zumutungen? Struck: Wir schütten ja nicht das Füllhorn aus. Aber wir sind durch die Steuereinnahmen in einer finanziellen Lage, die uns erlaubt, die Agenda fortzuentwickeln.

STANDARD: Nach dem Parteitag muss ausgerechnet Müntefering in der Regierung für die Umsetzung von mehr Arbeitslosengeld I sorgen. Ist das nicht ziemlich kurios?

Struck: In der Politik ist es nun mal so, dass man auch Maßnahmen umsetzen muss, wenn man nicht ganz damit einverstanden ist. Es ist ja nur ein Punkt, wo es verschiedene Meinungen gibt. Leider wurde das gleich zum Machtkampf zwischen Beck (SPD-Chef, Anm.) und Müntefering hochstilisiert. Aber es ist ganz klar: Beck ist die Nummer eins in der Partei, Müntefering Nummer eins in der Regierung.

STANDARD: Ist die Kanzlerin immer noch am Sonnendeck und die SPD im Maschinenraum?

Struck: Ich habe das Bild nie für glücklich gehalten. SPD und Union sind beide auf dem Mitteldeck und arbeiten. Aber ich erwarte, dass sich auch die Kanzlerin mehr in die Niederungen der Innenpolitik begibt und engagiert. Sie ist sehr geschickt, wenn es darum geht, sich Erfolge einzuverleiben, die auf die SPD zurückgehen. Man denke an den Ausbau der Kinderbetreuungsplätze. Es sind die Erfolge beider Partner, ich halte nichts davon, wenn sich einer auf Kosten des anderen profiliert, und ich bin sicher, die SPD wird 2009 mit einem geschärften Profil aus der Koalition herausgehen.

STANDARD: Mit wem will die SPD dann regieren? Struck: Neben der großen Koalition kommen nur noch Dreierkoalitionen infrage. Im Bereich Inneres und Justiz ist die Übereinstimmung zwischen SPD und FDP größer als zwischen SPD und Union. Und die Grünen werden nach ihrem Nein zum Afghanistan-Einsatz auch wieder zu verantwortlicher Außenpolitik zurückkehren. (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD, Printausgabe, 25./26.10.2007)