Ridley Scotts Blade Runner handelt nicht nur von der Manipulierbarkeit der Vergangenheit, sondern genauso von der Zukunft des Kinos. Ausgerechnet bei einem Film, der das Problem des authentischen Gedächtnisses ins Zentrum stellt, haben die nachträglich um- und neugeschnittenen Varianten das Lein- wandoriginal praktisch vollständig aus den Bildarchiven und damit aus dem populären Gedächtnis verdrängt. Jetzt soll ein "Final Cut" die endgültig autorisierte Schnittfassung liefern und präsentiert den Science-Fiction-Klassiker dabei in (mindestens) fünf verschiedenen Versionen. Was bei alldem auf der Strecke bleibt, ist das Kino als Ort filmischer Erfahrung.
Kino als Speicher
"I've seen things you people wouldn't believe. Attack ships on fire off the shoulder of Orion. I watched C-beams glitter in the dark near the Tannhauser gate. And all those moments will be lost in time, like tears in rain." - Trotz all seiner suggestiven Pracht: Rutger Hauers Sterbemonolog über den Dächern von Los Angeles im November 2019 hat unrecht. Nichts geht verloren. Schließlich ist das Kino die Speichermaschine schlechthin, das Archiv nicht nur der Bilder und Töne, sondern auch der Emotionen und subjektiven Erlebnisse seiner Zuschauer. Die Digitalisierung der Bilder soll die Wiederholung des Kinoerlebnisses für alle Zukunft sichern. So zumindest die Hoffnung - die zugleich untergraben wird.
Die wohl vornehmste Form, unter der ein Film seine Wiederauferstehung erleben darf, ist der sogenannte "Director's Cut". Darin schließen sich künstlerische Ambitionen (ein Regisseur, der seinen Film marktkonform umschneiden musste, darf "seine Vision" veröffentlichen) mit kommerziellen Hoffnungen (ein Studio erhofft sich vom Neuaufguss Mehreinnahmen) zusammen. Kein Blockbuster, der nicht einige Zeit später als "Extended" oder "Special Edition" erneut aufgelegt wird. Längst ist ein Zwang daraus geworden - "der Markt" verlangt danach und zerfällt dadurch zugleich in tausend Nischen: jedem Käufer seine individuelle Verpackung, sein stundenlanges Bonusmaterial, seine Zusatz-DVDs in limitierter Auflage.
Der ehemalige Werbefilmer Ridley Scott machte es vor. Blade Runner war einer der ersten Filme, die als "Director's Cut" eine zweite Chance bekamen. In unterschiedlichen Gestalten gab es ihn schon früher. Schon die Leinwandversion von 1982 lag zweimal vor, einmal für den US-Markt - weniger Gewaltszenen - und länger für das europäische und asiatische Publikum. Die Auswertung im Fernsehen, auf Festivals, auf VHS oder als Laserdisc produzierte weitere Schnittvarianten, darunter eine, die bereits unter dem Label "Director's Cut" verbreitet wurde.
Diese nicht autorisierte Fassung veranlasste den mittlerweile etablierten Regisseur Scott, 1992 eine neue Version des Filmes in Auftrag zu geben, welche die Eingriffe des Studios rückgängig machen sollten: Davor war Blade Runner eine Dystopie im retrofuturistischen Look, in welcher der Held im Verlauf der Ereignisse einsichtig wird und am Ende mit der Geliebten aus der Stadt flieht.
Film als Fangfrage
Danach war der Film eine metaphysische Fangfrage: Künstliche Menschen, Replikanten genannt, gewinnen die Fähigkeit, ihr eigenes Gemachtsein zu ignorieren, indem man ihnen Ersatzerinnerungen einpflanzt. Wer aber kann dann noch für sich entscheiden, ob er Mensch ist oder nicht?
Zum 25-jährigen Jubiläum des Kinostarts präsentiert Warner Bros. nun den "Final Cut" (bei dem, im Gegensatz zum "Director's Cut", Ridley Scott persönlich jeden Schritt überwacht haben soll). Dramatische Plot-Wendungen sind nicht zu erwarten. Einige Szenen wurden nach der originalen Arbeitskopie umgeschnitten, ein paar Einstellungen hinzugefügt. Der Einhorn-traum ist erstmals in voller Länge zu sehen. Als Schmankerl für Fans mit dem entsprechenden Geldbeutel wird ein prallgefüllter Koffer mit nicht weniger als fünf DVDs (US- und internationale Erstversion, "Director's Cut", Arbeitskopie und "Final Cut", nebst einem dreieinhalbstündigen Making-of) erscheinen.