Die Antwort findet sich in einem Elektrogerät: der Kaffeemaschine. Das ist die Geschichte von Kaffeemaschinen, Fernsehgeräten, Brötchen, Strafmandaten und den Milliarden der Republik.

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1.) Kaffeemaschine, TV-Gerät. Sie stehen im Wachzimmer. Das Innenministerium hat für sie kein Geld. Aber die Beamten wollen Kaffee trinken und fernsehen. Die Lösung kommt von den Freunden der Wiener Polizei.

2.) Brötchen. Wenn Polizisten geehrt werden, halten die Ordensverleiher nichts als eine kleine Schatulle in den Händen. Die Freunde der Wiener Polizei sorgen dafür, dass nicht schäbig geehrt wird. Sie spendieren ein Buffet.

Die Beamten nehmen, denn sie wissen: Eine Kaffeemaschine, ein Fernseher und ein Brötchen können nichts Böses sein.

Die Freunde, die das Sagen haben, sind Unternehmer. Sie betreiben Sicherheitsdienste und Spielhallen, sie handeln mit Waffen und Telekom-Firmen, sie leiten Banken und vergeben Kredite. Unternehmer haben nichts zu verschenken. Sie investieren. Das ist auf der ganzen Welt so. Italienischstämmige US-Unternehmer aus den Bereichen Glücksspiel und Prostitution haben ebenso ein Herz für ihre Polizei wie russische Oligarchen und sizilianische Bauunternehmer.

Neue Frage

Darf sich die Polizei derartige Freunde leisten? Von den USA bis Skandinavien lautet die Antwort "Nein". In Österreich ist die Frage neu. Bis vor kurzem hat sie niemand gestellt.

Das österreichische System nennt die Beziehung zwischen Freunderln und Amtsträgern "Freundschaft". Beamte des Innenministeriums können sich dabei darauf verlassen, dass das ein paar Häuser weiter im Finanzressort oder in der Landesverteidigung nicht anders gesehen wird. Ob die Industriellenvereinigung die Homepage des Finanzministers oder EADS das Golfturnier des Luftwaffenchefs sponsert - die Geber wissen, dass die Nehmer neben den offenen Händen auch offene Ohren haben werden.

Kaffeemaschinen und Strafmandate haben eines gemeinsam: Sie sind Kleinigkeiten. Tausende dieser Kleinigkeiten bilden einen Nährboden. Wenn Temperatur und Feuchtigkeit stimmen, beginnt sich eine Kultur zu entwickeln. Von der Polizei wächst sie weiter in die Staatsanwaltschaft. Andere Stränge wuchern in Parteien und Interessenvertretungen. Fast alles bleibt klein und bildet, tief ineinander verwachsen, eine filzige Schicht. Ab und zu treibt Beachtliches aus: ein illegales marktbeherrschendes Kartell, ein politisch gut vernetzter Glücksspielkönig oder ein österreichischer Oligarch. Dann geht es nicht mehr um Kavaliere, die sich gegenseitig 20 Euro-Mandate erlassen. Dann geht es um Milliarden. Egal ob Telekom, Bundesimmobilien oder Eurofighter - es sind die Milliarden der Republik.

Widerstand zwecklos?

Korruption ist in Österreich selten ein Geheimnis. Sie bleibt meist unbehelligt, weil sie eine alte Bekannte ist. Der Vereinssekretär der Polizeifreunde hatte die Vorzimmer der Polizeipräsidenten als Aktionsbasis. Der Leiter der Staatsanwaltschaft steckte sogar noch dann, als die eigene Behörde bereits gegen den Polizeigeneral ermittelte, letzterem ein Strafmandat zur gefälligen Intervention zu. Der Innenminister kannte schon seit mehr als einem Jahr die wichtigsten Hinweise. Der Kanzler und der Vizekanzler ließen sich einfliegen und halfen bei den großen Geschäften selbst mit. Jetzt sehen sie alle keinen Handlungsbedarf. Der pensionierte Vereinssekretär, der ausgestoßene Polizeigeneral und der gestrauchelte Bankdirektor - das sind die schwarzen Schafe. Alle anderen deuten auf die vereinzelten weißen Flecken in ihrem Fell und rufen stolz: "weiß!"

Aber warum sehen so viele, die nichts davon haben, zu? Warum lassen sich zu viele nach wie vor alles bieten? Es ist wie immer: Der Personalvertreter, der mit den Freunden seiner Polizeispitze konfrontiert wird, fürchtet nicht um den guten Ruf. Er fürchtet um die Kaffeemaschine. Der Sektionschef schaut auf den Minister und hält den Mund.

Die gelernten Österreicher verhalten sich dabei wie gut ausgebildete Österreicher. Sie sehen zu und schimpfen. Dutzende folgenloser Skandale haben ihnen eine Lehre erteilt: Widerstand lohnt sich nicht. Die oben richten es sich, die unten haben keine Chance.

Verständnis

Im kleinen Kreis zeigen sie meist Verständnis, weil sie es sich selbst im Kleinen richten. Sie wissen meist nicht, welche Schäden Korruption auch in Österreich anrichtet. Korruption ist ein System finanzieller Umleitungen. Die Milliarden, die abgezweigt werden, fehlen für Klimaschutz und Bildung. Korruption ist eine Plünderung. Die Laden der Republik sind leer, das Tafelsilber ist weg, und die Plünderer feiern ihr Motto "Mehr privat, weniger Staat".

Also alles sinnlos? Mit Sicherheit nicht. Es hat sich schon einiges geändert. Eine wachsende Gruppe junger, hochqualifizierter Staatsanwälte ermittelt präzis und unbeirrbar. Die Anti-Korruptionsspezialisten des Innenministeriums versorgen sie mit Material. Journalisten beginnen wieder zu graben und zu enthüllen.

Die Regierung steht noch auf der Bremse. Der Banken-Untersuchungsausschuss konnte noch - kurz bevor es um Schlaff und Horngacher gehen sollte - abgewürgt werden. Der Bundeskanzler und die ÖVP haben größtes Interesse, dass möglichst schnell Gras über die Fundstellen wächst. Aber diesmal, scheint es, ist Gras Mangelware. (DER STANDARD Printausgabe, 27./28.10.2007)