Helmut Richter: "Schmutziges Glas ist durchsichtiger als Beton."

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Innenansicht des Restaurants "Kiang"

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Nach 16 Jahren verlässt Helmut Richter seine Lehrkanzel an der Abteilung für Hochbau 2 der Technischen Universität Wien. Das stimmt viele schmerzlich.

Über 500 Diplomarbeiten (Rekord) hat er betreut, noch mehr Studentinnen und Studenten beeinflusst und noch viel mehr Menschen mit seinen ganz außerordentlichen Architekturen beeindruckt.

Unzählige Schnurren erzählt man sich über den 1941 in Graz geborenen Architekten. Er selbst sagt: "Es gibt keine apodiktischen und allgemeingültigen Sätze in der Architektur." Außer vielleicht folgende, die zumindest auf die Architektur anwendbar sind und von Richters Mitarbeitern so oft gehört werden, dass sie sie auswendig herunterbeten können:

  • "Gesetze sind dazu da, hinterfragt zu werden."

  • "Ästhetik ist eine Frage der Gewohnheit."

  • "Ein Raster darf gebrochen werden."

  • "Schmutziges Glas ist durchsichtiger als Beton."

  • "Querdurchlüftung ist unverzichtbar."

  • "Es gibt ein Leben außerhalb der Architektur."

    Anlässlich seines Abschieds von der TU-Wien entstand, organisiert von den Kolleginnen und Kollegen des Hochbauinstituts, "Ein Buch für Helmut Richter". Die folgenden Zitate stammen daraus.

    Zvi Hecker, Architekt, Berlin:
    "Helmut Richter ist meiner Meinung nach ein klassischer Architekt. Nicht, weil er Tempel baut, sondern weil ein klassisches Problem der Architektur im Zentrum seiner Arbeit steht: Der Mensch."

    Alfred Berger, Architekt, Wien:
    "Als ich Mitte der 80er-Jahre Helmut zum ersten Mal traf, wehte im kleinen Büro am Fleischmarkt ein frischer und internationaler Wind, wie sonst kaum in Wien. Es roch nach Aufbruch, nach Stahl, Leichtbau und kühnen Konstruktionen - und das in einer ganz eigenen sinnlich-poetischen Weise, die weit über den damals hochkommenden Hightech hinausging.

    Als ich Helmut 1990 mein erstes Siegerprojekt für eine große Sporthalle ganz in Stahl und Glas zeigte, sagte er: "Alfred, ich beneide dich." Ich erzähle das hier, weil in dieser knappen Aussage eine Anerkennung zum Ausdruck kam, zu der nur jemand fähig ist, der junge Kollegen nicht als Gegner, sondern als Mitstreiter sieht. Solch persönliche Größe ist in der ständig wetteifernden Welt der Architektur sehr selten."

    Friedrich Achleitner, Autor, "Der Achleitner":
    "Wenn Robert Musil schloss, dass es zu unserem Wirklichkeitssinn auch einen Möglichkeitssinn geben müsse, so bezieht Helmut Richter wohl seine Kraft aus einem stark entwickelten Möglichkeitssinn. Richters Welt des Möglichen ist aber keine abgehobene, utopische Welt, sie ist eine gerade noch mögliche, eine in Reichweite der Wirklichkeit stehende und eine die Wirklichkeit herausfordernde. Aus dieser Spannung bezieht er auch seine produktiven Konflikte mit dem Bauen, das, wie wir wissen, eine in die Konvention abgesunkene Wirklichkeit mehr schätzt, als eine durch Möglichkeiten verunsicherte."

    Werner DePauli-Schimanovich, Lektor Informatik, TU-Wien:
    "Über das Lokal Kiang I: Zwei Wochen lang saß Richter im noch unfertigen Lokal und starrte vor sich hin - sehr zum Leidwesen von Thomas Kiang, der eigentlich bald eröffnen wollte. Doch Richter ließ den Raum auf sich einwirken, um so die beste Architektur dafür zu finden. Das vielfach preisgekrönte Ergebnis war dann ein rot-blau eingepackter Saal mit aufsteigender Decke - wie eine Startbahn am Flughafen.
    (...)
    Als ich ihn das erste Mal sah, hatte er riesige schwarze Ringe um die Augen, weil er so wenig schlief. Einige Leute meinten, dass er stark depressiv und suizidgefährdet sei. Aber andere, sehr enge Freunde von ihm, verrieten mir, dass er einfach die ganzen Nächte über Architektur nachdenkt und daher nie schläft."

    Lothar Heinrich, Bauingenieur, Wien:
    "Glas ist das bestimmende Element im Werk Richters. Im Büro am Fleischmarkt, winzig, ein ehemaliges Kloster, hing beim Eingang ein Satz von Le Corbusier: 'Jeder Mensch hat das Recht auf Licht.' In den von Licht durchfluteten Glasbauten Richters wurde dieses Wort Realität.

    Als Mitarbeiter im Büro Vasko konnte ich bei nahezu allen Projekten als Tragwerksplaner mitwirken. In der engen, finsteren Kammer des Büros am Fleischmarkt entstand in einem intensiven und mit der Zeit innigen Dialog jene Architektur, die durch zwei Gedanken Richters geleitet wurde: 'Es gibt keine apodiktischen und allgemeingültigen Sätze in der Architektur. Es gibt kein ästhetisches Argument, es gibt nur ein ästhetisches Postulat.'"

    Diether Hoppe, Architekt, Professor TU-Wien:
    "Als ein Student eine Sprungschanze für die Diplomarbeit entwickeln wollte, riet ihm Helmut Richter, vorerst einmal Skispringer zu werden, um zu wissen, worum es geht. Der Student hat den Rat befolgt und hat sowohl eine sehr realistische Diplomarbeit geliefert, als auch dann seine Sprünge auf der 90-m-Schanze perfektioniert."

    Cuno Brullmann, Architekt, Professor TU-Wien:
    "Diese klare Haltung hat Helmut auch seinen Studenten vermittelt. Seine berühmten 'Richterübungen' haben zum Ziel, aus Konstruktion und Architektur eine Einheit zu machen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst sparsam umzugehen. Er hasst Formalismus und unnötige Theorie. Sein Experimentierfeld ist die Baustelle. (...)
    Die 'Richter-Diplome' sind zu einem Phänomen an der TU geworden. Er brachte es fertig, aus den Studenten das Letzte herauszuholen. Einige der von ihm betreuten Diplome sind wahre Meisterwerke."

    Gerd Erhartt, Jakob Dunkl, Architekten, Wien:
    "Wir beide habe zirka drei Jahre bei Helmut Richter gearbeitet. Zitat Helmut Richter: 'Es gibt ein Leben außerhalb der Architektur.' Klingt nebensächlich, ist aber ein besonders wichtiger Punkt. Wir lernten es, uns ausgiebig zu entspannen. Ein liebgewonnenes Ritual war das Mittagessen im Kiang und der anschließende Besuch im Kaffeehaus der Frau Schmohl, direkt neben dem Büro."

    Jan Tabor, Architekturtheoretiker, Wien:
    "Eines Tages traf ich wieder mit Helmut im Café Schmohl zusammen, das sich im Nachbarhaus seines Büros befindet, um mit ihm, wie des öfteren, zu frühstücken. Er war schon da, hielt das Magazin profil in der Hand und war leicht, sozusagen sarkastisch verstimmt. Aber verstimmt. Auch er möchte einmal Star-architekt genannt werden, sagte er. Noch nie wurde er Stararchitekt genannt. Er sagte es sarkastisch auf seine spezifische Art, aus Erfahrung wusste ich, wenn er sarkastisch auf seine spezifische Art spricht, dann meint er das, auf seine spezifische Art auch ernst.
    (...)
    Richter zähle, so sagte Peter Cook in Bratislava, zu den bedeutendsten Architekten auf der Welt, in Österreich sei er allein der bedeutendste.

    Von Bratislava nach Wien sind es nur 60 Kilometer. So besteht doch die Hoffnung, dass Cooks völlig richtige Ansicht in absehbarer Zeit doch auch nach Wien gelangen könnte."

    Juliana Aigner, Institutssekretärin hb2, TU-Wien:
    "Helmut Richter wird hier nicht ersetzbar sein."

    (Ute Woltron, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27./28.10.2007)