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"Warum sollte es gut sein für sein Land zu sterben. Ist es nicht besser in New York zu leben?" Damit brachte Supermodel Bar Rafaeli ihre Landsleute auf. Mit einem Auslandsaufenthalt kann man dem Wehrdienst entkommen. Hat man hingegen vor sich noch vor seinem 27.Lebensjahr in Israel niederzulassen, wird man noch einberufen. Bar Rafaeli hat nicht so schnell vor in ihre Heimat zurückzukehren und zieht zurzeit Los Angeles vor.

Foto: REUTERS/Alessandro Bianchi (ITALY)

Frauen in der Armee sind in Israel normal. "Aber die Art wie mich die Leute auf der Straße anschauen, wenn ich mit meiner Waffe herumlaufe, ist anders. Es ist schön. Die Leute akzeptieren es. Wenn sie ein Mädchen mit einer Waffe sehen, wissen sie, dass sie nur einmal im Monat nach Hause geht", sagt Shir Dashti.

Foto: IDF
Bis vor kurzem war Bar Rafaeli everybodys darling. Ein israelisches Supermodel auf den Covern von Elle und Cosmopolitain und an der Seite von US-Schauspieler Leonardo di Caprio. Mädchen übten Rafaelis Augenaufschlag, frisch gebackene Mütter gaben ihren Töchtern den Vornamen Bar. Doch Israels Aushängeschild bekam Kratzer, als sich die 22-Jährige in einem Interview mit der Tageszeitung "Yediot Ahronot" als Wehrdienstverweigerin outete: "Ich bedauere es nicht, nicht zur Armee gegangen zu sein. Warum sollte es gut sein, für sein Land zu sterben. Ist es nicht besser in New York zu leben?"

Wehrdienstverweigerin und stolz darauf? Die öffentliche Empörung ließ nicht lange auf sich warten in einem Land, wo Kinder zu Festtagen in manchen Kindergärten Geschenkspakete für Soldaten basteln und Jugendliche auf wochenlange Schnuppercamps auf Militärstützpunkte fahren. "Wir brauchen keine Leute wie dich. Du bist ein schreckliches Vorbild für junge Mädchen", schreibt eine Mutter, deren Tochter bald zur Armee geht, in einem Posting auf der Homepage der Tageszeitung. "Sie ist eine Schande für die jüdische Nation, so wie alle Wehrdienstverweigerer", heißt es in einem anderen Kommentar.

Orthodoxe Juden befreit von Dienst

In Israel ist der Wehrdienst für Jeden Pflicht, drei Jahre für Männer und zwei Jahre für Frauen. Wehrdienstverweigerer werden nicht gern gesehen. Trotzdem: Immer weniger melden sich zum verpflichtenden Heeresdienst. 2007 traten rund 26 Prozent aller wehrdienstfähigen jungen Männer und 43 Prozent aller Frauen ihren Dienst nicht an. Bei der Armee - den Israel Defense Forces (IDF)- zeigt man sich darüber gelassen: "Die Zahlen waren in den vergangenen Jahren stabil. Die einzigen Zahlen, die gestiegen sind, sind jene der Leute, die aus religiösen Gründen den Wehrdienst verweigert haben. Das ist deswegen, weil orthodoxe Juden mehr Kinder bekommen“, erklärt Oberst Benjamin Rotlamd, IDF-Pressesprecher für europäische Angelegenheiten, den populärsten Verweigerungsgrund.

Orthodoxe jüdische Männer sind dann vom Heeresdienst befreit, wenn es sich bei ihnen um Tora-Studenten handelt und sie in einer anerkannten Talmudhochschule registriert sind. Bei orthodoxen jüdischen Frauen reicht es, wenn sie lediglich angeben religiös zu sein. Dieses Jahr haben insgesamt 11 Prozent aller Männer den Dienst aus religiösen Gründen verweigert, bei Frauen waren es sogar 33 Prozent. Viele dieser Frauen leisten als Alternative einen Zivildienst ab.

"Seltsam" für arabische Israelis

Neben dem Glauben gibt es weitere Gründe die für eine Befreiung in Frage kommen: Untauglichkeit, wenn die Wehrdienstanwärter vorbestraft sind, im Ausland leben oder wenn es sich um arabische Israelis handelt. "Viele Verwandte von arabischen Israelis leben in der Westbank oder im Gazastreifen. Wenn sie in der Armee dienen würden, müssten sie vielleicht eines Tages gegen ihre Verwandten kämpfen. Das würde sie in eine seltsame Situation bringen", sagt Rotlamd.

Der Verweigerer

Auch Matan Kaminer sah sich in dieser Situation. Und der 24-jährige Englischübersetzer ist kein Araber. Vor fünf Jahren hätte er dienen sollen. "Ich habe aus Gewissensgründen verweigert, weil ich gegen die Besetzung der palästinensischen Gebiete war" erzählt er. Die Folge: Zwei Jahre Militärgefängnis. Dass er nun als Verräter dasteht, findet er nicht. "Viele Leute hatten kein Problem damit, was ich gemacht, sondern viel mehr, dass ich es mir so schwer gemacht habe", sagt Kaminer.

Der Refusnik

Bei vielen Wehrdienstverweigern spielen ganz andere Motive eine Rolle als der Protest gegen die Besetzung der palästinensischen Gebiete. "Die israelische Gesellschaft ist individualistischer und hedonistischer geworden. Manche wollen nicht dienen, weil sie an ihre Karriere denken“, sagt Ofer Neiman von der Organisation "Yesh Gvul" ("Es gibt eine Grenze!"). Yesh Gvul begreift sich als israelische Friedensorganisation, die Soldaten unterstützt, die Befehle "repressiver oder aggressiver Natur" ablehnen. Neiman selbt hat zwischen 1989 bis 1992 in der israelischen Armee gedient, bis er 2002 als Reservist einen Einsatz in palästinensischen Gebieten ablehnte und damit zu einem "Refusnik" - einem Verweigerer - wurde. Man hat ihn in eine andere Abteilung versetzt.

Keine Parias

Wehrdienstverweigerer sind längst keine geächtete Ausnahmeerscheinung mehr, auch wenn sie Politiker wie Verteidigungsminister Ehud Barak als Parias darstellen wollen.

"Vor 25 Jahren wurden Wehrdienstverweigerer informell sanktioniert. Heute nicht mehr. Sofern sie nicht im öffentlichen Dienst arbeiten möchten, gibt es auch keine Nachteile, wobei sich ein Unternehmer zweimal überlegen wird, ob er einen Wehrdienstverweigerer einstellt. Das lässt sich aber schwer beweisen", erklärt der Soziologe Eyal Ben-Ari von der Universität Haifa. Ben-Ari hat den Militarismus in der israelischen Gesellschaft in seinen Arbeiten analysiert. Seit dem Libanonkrieg 1982, in dem Israel den südlichen Libanon besetzt hatte um die von dort operierende PLO zu zerschlagen, hätten die Israelis begonnen das Militär stärker zu kritisieren, da jener Krieg als vermeidbar wahrgenommen worden sei, befindet Ben-Ari. "Dennoch gibt es nach wie vor die Wahrnehmung, dass Israel einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt ist. Das halte ich aber für unrealistisch", sagt der Soziologe.

Die Soldatin

Mit diesen Szenarien ist Wehrdienstverweigerer Martan Kaminer aufgewachsen. Und Shir Dashti lebt sie. Seit fast einem Jahr ist die 19-Jährige in der Israel Defence Force. Ihre Motivation: "Ich will dem Land etwas zurückgeben." Während Gleichaltrige um neun Uhr in Vorlesungen schlurfen, steht sie schon beim Checkpoint in Hebron, im Süden des Westjordanlandes. "Ich glaube nicht, dass mich die Palästinenser als jemanden sehen, der eine "Besatzung" symbolisiert. Wir behandeln alle gleich", sagt sie. Verweigerer hat sie in ihrem Freundeskreis keine. "Es ist wirklich eine Schande. Ich glaube jeder kann seinen Beitrag leisten, selbst wenn er irgendwo in der Administration sitzt", zeigt sich Dashti über die Wehrdienstverweigerer empört.

Mit sieben Jahren sah sie das erste Mal Frauen bei einem Checkpoint und war beeindruckt. Von da an stand für sie fest, dass sie auch einmal Soldatin werden wolle: "Ich hoffe, dass sich das Kinder auch denken, wenn sie bei mir den Checkpoint passieren." Vielleicht üben die Mädchen in Zukunft Dashtis Augenschlag anstatt jenen von Bar Rafaeli. (Solmaz Khorsand, derstandard.at/29.10.2007)