Wien - Man kann sich's leisten. Mancher leistet es sich auch, das Geschäft mit geilen "Stuten", "Hasen" oder "Ferkeln". Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek hatte ein in der Wochenzeitung "Falter" publiziertes Protokoll von Feilschereien zwischen Gebern und Nehmern im heimischen Frauenhandel zu der meisterhaften Prosa "Über Tiere" verarbeitet. Und die österreichische Choreografin Christine Gaigg hat diesen Text für die Bühne aufbereitet: in Koproduktion mit dem Zürcher Theater am Neumarkt (wo auch die Uraufführung stattfand) und dem Tanzquartier Wien. Dort ist die Erstaufführung noch bis Sonntag zu sehen.

Es geht nicht um bigotte Besudelung von Frauen, die sich der Behandlung von sexuellen Defiziten einer Gesellschaft depravierter Körper widmen. Sondern um Leute, die die anhaltende Ächtung dieser Menschen nutzen und "gemietete" Mädchen in den toten Winkeln des Rechtsstaats unterjochen. Dort, wo "Escort-Service" zum Sklavenmarkt verkommt, ist das Wertesystem der aufgeklärten Demokratie zu Ende. Fatal dabei: Dieses Ende zieht sich laut Protokoll quer durch die Struktur dieser Demokratie bis in ihre Machtinstanzen.

Demonstrationen

Das stellt Jelinek in ihrem Text dar. Und zwar so, dass die verharmlosende Einzelfall-Performance in dem Abhörprotokoll aufgelöst wird. Sie injiziert dieses Ende in die blinden Phrasen des alltäglichen Sprachverbrauchs, und Gaigg gibt diesem Vorgang ein Gesicht. Der Titel "Über Tiere" wird plastisch, wenn man berücksichtigt, dass dem Tier in unserer Rechtswelt ungefähr so viel Wert zugemessen wird wie einer Sache. Seltsam, dass wohl dagegen öffentlich protestiert wird, von Demonstrationen gegen den Frauenhandel allerdings kaum je eine Spur zu finden ist.

Jelinek hat einen leicht verständlichen Text geschaffen, der über seine Verlautbarung in Gaiggs Choreografie förmlich aufblüht. Daraus kann man keinen das Verbrechen heroisierenden Krimi zimmern. Im Stück sind die Tänzerinnen auf Lattenpritschen verbannt. Ihre Fellhauben und die Katzenaugenlinsen in ihren Augen verweisen auf Sacher-Masochs Venus im Pelz. Minimale mechanische Bewegungen, lautes Atmen und Stöhnen mögen wohl auf die missbrauchten Engel der Escort-Erotik hindeuten, als Allegorien stellen sie aber eher Denkfiguren des Ausklammerns und augenzwinkernden Duldens dar. Und dahinter Gleichnisse für Sprachlosigkeit und unterlassenes Handeln der Gesellschaft, die sich in jeder Sekunde an dem Missbrauch der zur Flachlegware degradierten Frauen mitschuldig macht.

Der Text scheint aus den Lichtduschen über den Pritschen auf die devitalisierten Körper niederzuregnen. Das Publikum bewegt sich erst frei in den Gängen rund um und zwischen diesen Ablagen. Später darf es dort Platz nehmen und sitzt im fahlen Rampenlicht, während die SchauspielerInnen, die den Text ausdrucksvoll sprechen, das Ausmaß des Ungeheuerlichen voll machen. In solchem Schauspiel kippt das Unheimliche aber auch ins allzu Konkrete, rückt die vortragende Person dem Text in den Weg. Die Figuren der TänzerInnen dagegen repräsentieren die von den ins Publikum gemischten SpielerInnen verlauteten Worte als parallele Körpertexte von "Nobodys", denen alle Identifizierbarkeit entzogen worden ist.

Solide gemacht

Die SchauspielerInnen dagegen vertreten die Autorin zu sehr als Autorität, wie das seit einem halben Jahr noch deutlicher Sylvie Rohrer in Ruedi Häussermanns Interpretation desselben Texts im Burgtheater-Kasino tut. Immerhin hat Gaigg Jelineks Text klug auf die SprechspielerInnen verteilt. Sie hätte sie aber vielleicht besser hinter die Fliegengitterbegrenzungen des Performanceraums platziert, um diese Wände sprechen zu machen und die BesucherInnen bei sich und den stumm unter ihnen sitzenden TänzerInnen zu lassen. Jedenfalls stellt die Choreografin ein inhaltlich dringendes, etwas zu solide gemachtes Werk vor, das unbedingt in Hohen Häusern gezeigt werden müsste. Gerade auch im österreichischen Parlament. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, Print, 27.10.2007)