STANDARD: In Kärnten wurde ein Mann freigesprochen, der seine unheilbar kranke Frau in eine Schweizer Klinik gebracht hat, wo sie begleiteten Suizid beging. Aus der Richtervereinigung kam Kritik – warum?
Helige: Weil an diesem Fall zum Ausdruck kommt, dass der Gesetzgeber die Gerichtsbarkeit bei wichtigen Themen in Stich lässt. Die Gerichte sind gezwungen, schwierige gesellschaftpolitische Entscheidungen zu fällen, ohne eine ausreichende Rechtsgrundlage dafür zu haben.
STANDARD: Wieso? Die Rechtslage ist doch klar, Beihilfe zum Selbstmord ist strafbar...
Helige: Trotzdem ist der Mann von den Schöffen freigesprochen worden, und viele Menschen haben applaudiert. Das ist ein Indiz, dass sich die gesellschaftliche Auseinandersetzung über Sterbehilfe verändert hat.
STANDARD: Hinken die heimischen Regelungen dem gesellschaftlichen Stand der Dinge hinterher?
Helige: Ja – und auch ein allfälliger Spruch des Obersten Gerichtshofes in dem Kärntner Fall wird daran nichts ändern. Dazu bräuchte es vielmehr ein neues Gesetz, das von den politischen Parteien– immerhin die gewählten Vertreter der Menschen – diskutiert und beschlossen werden muss.
STANDARD: Was sollte in einem solchen Gesetz stehen?
Helige: Genau diese Frage gilt es im Vorfeld zu beantworten: Will die österreichische Gesellschaft, dass Hilfe zum Suizid oder andere Formen der Sterbehilfe im Prinzip zulässig sind? Will sie das nicht – oder etwa nur in Ausnahmefällen, wenn dadurch ein besonders qualvoller Tod abgewendet werden kann? In letzterem Fall müsste man diese Ausnahmefälle definieren, was zumindest gesetzestechnisch sauber wäre. So weit wie in Holland oder Belgien, wo es Kommissionen für Sterbehilfewünsche gibt, würde ich in Österreich nicht gehen. Das nämlich kann Verrohung mit sich bringen.
STANDARD: Und viele Menschen fürchten die Gefahr eines ethischen Dammbruchs.
Helige: Ja, und ich teile diese Befürchtung, wenn ich etwa bedenke, dass wir heute mit vielen alten Menschen konfrontiert sind, die in einer auf Junge ausgerichteten Gesellschaft leben und sich oftmals als Last sehen. Neue Gesetze dürfen das nicht auch noch verstärken. Dennoch muss über das Sterben und über Sterbehilfe neu diskutiert werden, das ist allein schon wegen der zunehmenden Kontrollierbarkeit des Todes unumgänglich: In der modernen Medizin sind zwei Drittel aller Todesfälle absehbar, die Hälfte davon hängt mit Therapieentscheidungen zusammen. Das muss der Gesetzgeber mitbedenken.
STANDARD: Lässt der Gesetzgeber Gerichte auch in anderen Bereichen allein?