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Massud Barzani, Präsident der kurdischen Regionalregierung.

Foto: EPA/Abbas
Je schärfer die Töne werden, desto klarer kommt im Nordirak hinter der PKK-Krise der prinzipielle türkisch-kurdische Konflikt zum Vorschein. Die irakischen Kurden beschuldigen Ankara, ihre Autonomie – die sie sich mühsam erarbeitet haben – im Visier zu haben.

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Erbil/Wien – Die Rhetorik verschärft sich: Wenn die Türkei in nordirakisches Territorium einmarschiere, so bedeute das „Krieg“, zitiert der britische Independent Massud Barzani. Der Präsident der kurdischen Regionalregierung ruft aber gleichzeitig weiter zu einer politischen Lösung auf – was man durchaus an beide Adressen, die der Türkei und die der PKK, gerichtet sehen kann.

Dennoch, der Diskurs driftet langsam, aber in beängstigender Manier weg vom Konflikt zwischen Türkei und PKK und hin zu einem prinzipiellen türkisch-kurdischen. Barzani sagte nämlich auch, dass er zunehmend davon überzeugt sei, dass die Türkei nicht die PKK, sondern Irakisch-Kurdistan im Visier habe. Die PKK sei nur eine „Ausrede“.

Dass die Türkei keine Freude mit dem autonomen kurdischen Gebiet im Nordirak hat – obwohl türkische Geschäftsleute durch ihr Engagement im Nordirak bereits neue Realitäten schaffen –, ist eine Binsenweisheit. Das offizielle türkische Interesse am Nordirak ist sozusagen ein negatives: die Prävention eines Kurdenstaates, der „ansteckend“ auf die anderen Kurden in der Region sein könnte. Das Misstrauen der irakischen Kurden hinsichtlich der Absichten Ankaras wird auch dadurch geweckt, dass klarerweise eine Guerillabewegung wie die PKK auch durch einen Einmarsch nicht nachhaltig militärisch zu besiegen ist.

Die irakischen Kurden können heute auf die Geschichte einer De-facto-Selbständigkeit von sechzehn Jahren zurückblicken: Als 1991, nach einem Aufstand, dessen Niederschlagung und anschließender Massenflucht, im Nordirak von den Alliierten des Golfkriegs ein „safe haven“ für die Kurden eingerichtet wurde, zog Saddam Hussein die irakische Verwaltung von dort zurück (zur Erinnerung: nicht nur die humanitäre Katastrophe unter den irakischen Kurden, auch die Angst einer Destabilisierung der Türkei durch kurdische Flüchtlinge war Grund für die US-Intervention im Nordirak).

Irakisch-Kurdistans Weg blieb auch danach bitter: Gefangen in tribalen und parteipolitischen Rivalitäten zwischen der PUK (Patriotische Union Kurdistans) von Jalal Talabani, heute irakischer Präsident, und der KDP (Demokratische Partei Kurdistans) von Massud Barzani kam es Mitte der 1990er-Jahre zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Erst den USA gelang es im Vorfeld der Irak-Invasion 2003 die beiden Fraktionen dazu zu bringen, an einem Strang zu ziehen.

Der quasi autonome Status Irakisch-Kurdistans wurde nach 2003 beibehalten und 2006 in einer stark föderalen Verfassung untermauert: eine unverzichtbare Voraussetzung, um die Mitarbeit der Kurden auf nationaler Ebene zu sichern. Der Verbleib beim Irak ist den kurdischen „grass roots“ trotzdem nicht leicht zu verkaufen.

Die kurdische Entscheidung für den Irak war von viel politischem und wirtschaftlichem Pragmatismus und wenig Liebe – woher auch? – geprägt, und das Verhältnis zwischen Bagdad und Erbil, wo das kurdische Parlament und die Regionalregierung sitzen, bleibt von Spannungen dominiert, derzeit um das Management des kurdischen Öls. Kurdische Politiker – von Talabani über Außenminister Hoshyar Zebari zu Vizepremier Barham Salih – sind auch in Bagdad sehr stark.

Massud Barzani, von vielen westlichen Medien weiter stur nur als „Kurdenführer“ bezeichnet, ist heute Präsident der kurdischen Regionalregierung und als solcher agiert er meist geschickt und pragmatisch. Der Nordirak ist das einzige Gebiet im Irak, in dem es eine funktionierende Verwaltung gibt. KDP und PUK haben im Vorjahr ein enormes politisches Modernisierungsprojekt in Angriff genommen: die vorher strikt getrennten Verwaltungen von Erbil (KDP) und Sulaymaniya (PUK) sollen vereinigt werden. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass sich die irakischen Kurden bei all den Herausforderungen destruktive Spaltungen einfach nicht mehr leisten können. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 30.10.2007)