Enja Riegel ist Mitglied der von Ministerin Schmied eingesetzten Expertenkommission.

Foto: Pepo Schuster

STANDARD: Wie sehen Sie als deutsche Expertin die österreichische Schul-Debatte?

Riegel: Es erzürnt mich, was hier vor sich geht. Mich erstaunt, dass eine Partei wie die Volkspartei nicht das Volk im Auge hat, sondern nur ihre eigene Klientel, und davon nur einen kleinen Klüngel, nämlich einen Teil der Lehrer. Außerdem werden die Eltern nicht aufgeklärt, sondern es wird hier eine verlogene Debatte geführt. Was mich wirklich empört ist, dass jemand wie Herr Neugebauer (Anm.: ÖVP-Bildungssprecher) behauptet, er vertrete die Interessen einer bestimmten Gruppierung, nämlich der Gymnasiallehrer, und könne daher die Entwicklung für eine ganze Jugend-Generation verhindern. Das ist anmaßend.

STANDARD: Meinen Sie, dass die ÖVP wider besseres Wissen argumentiert?

Riegel:Die Leute, die etwas von Schule und von Bildung verstehen, und die bereit sind, wissenschaftliche Untersuchungen zur Kenntnis zu nehmen, die müssen wissen, dass die Schulentwicklung in Österreich und in Deutschland unter dem Durchschnitt ist. Sie entspricht nicht mehr dem, was man heutzutage braucht in Ländern, die keine Rohstoffe haben, sondern in denen es um Kinder geht, die gut ausgebildet werden müssen - und zwar alle. Das macht mir niemand vor, dass das in der ÖVP nicht bekannt ist.

STANDARD: Was halten Sie vom Vorgehen der Unterrichtsministerin?

Riegel: Die agiert vollkommen richtig. Sie hat gesagt, sie braucht ein Gesetz, damit die Kinder und die Eltern Sicherheit haben. Das ist integer, das muss so sein. Man kann nicht die Eltern und Kinder in eine ungesicherte Zukunft schicken. Ich finde es richtig, dass die Ministerin sagt, dass die darüber abstimmen sollen, die eine solche Schule wollen. Und die Lehrer, die dort unterrichten wollen, sollen in dieser Schule unterrichten. Die Privilegien werden nicht angetastet. Aber es gibt ein kleines Stückchen Bewegung, und davor haben die Leute Angst.

STANDARD: Warum diese Angst?

Riegel: Die Eltern werden nicht informiert, die Lehrer falsch. Denen wird gesagt: Dann geht es euch schlecht, dann kriegt ihr weniger Geld, dann müsst ihr all die schwierigen Kinder unterrichten, und das könnt ihr doch gar nicht. Ich finde, man muss von Lehrern verlangen, dass sie sich auf einen neuen Weg begeben müssen. Ihr wollt, dass Kinder lernen - dann müsst ihr erst einmal vormachen, wie es geht zu lernen!

STANDARD: Losgelöst von der politischen Debatte - was braucht das österreichische Schulsystem an Reformen?

Riegel: Das Lernen sollte früher beginnen, nämlich mit drei Jahren. Jenen Eltern, die selber zu Hause über nicht genügend Möglichkeiten verfügen, sollte der Staat ermöglichen, dass sie ihr Kind schon mit ein oder zwei Jahren in eine Einrichtung geben, wo ausgebildete Menschen sind, die sich um die Kinder kümmern. Die Grundschulen in Österreich sind oft ganz ausgezeichnet. Das Grundelend ist, dass die Kinder nach dem vierten Grundschuljahr getrennt werden, mittels einer Selektion, die sehr fadenscheinig ist. Es wird nicht nur nach Leistung getrennt, sondern auch danach, wer mehr Geld hat.

STANDARD: Braucht die andere Schule auch andere Lehrer?

Riegel: Sie braucht Lehrer, die bereit sind zu lernen. Wir haben nicht die falschen Lehrer. Man muss ihnen nur die Möglichkeit geben, dazuzulernen, und Strukturen schaffen, die den Lehrern ermöglichen, wirklich gute Lehrer zu sein. Derzeit geben die Lehrer ein blamables Bild für ihre Schüler ab. Auch das verzeihe ich Herrn Neugebauer nicht: dass er die Lehrer in eine solche blamable Situation bringt. (Andrea Heigl/DER STANDARD-Printausgabe, 30. Oktober 2007)